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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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sie als einzige Frau zwischen zahlreichen jungen Männern und Modellen verweilte, verlockend wie Römerstatuen und überdies unbekleidet, machte ihn unruhig. Das kann ich ihm nicht verübeln. In ihrem Atelier im zweiten Stock hatte seine Frau alles, was sie zum Malen brauchte. Platz, Ruhe, Abgeschiedenheit. Kurzum, ihre Werkstatt. Jahrelang bat er sie vergeblich, sich aus meiner Werkstatt zurückzuziehen. Aber das wäre ihr Tod, musste er sich sagen lassen.
    Ein beschwerlicheres Geschenk als den Zyklus der heiligen Katharina hätte ich meinen Kindern nicht machen können. Nie hatte ich ihnen eine solch schwierige Aufgabe anvertraut. Es war ergreifend zu sehen, wie sie sich bemühten. Sie wollten mir beweisen, dass sie mein Vertrauen nicht enttäuschen würden. Der eine schaffte es, der andere nicht. Ich ließ sie ihre Fehler machen. Erst die schmerzvolle Erfahrung, mit all seinem Ehrgeiz gescheitert
zu sein, bringt einen Künstler hervor - oder unter die Erde, wenn er es denn verdient.
    Frauen haben bei mir nie Modell gestanden: Jenseits der Bettkante empfinde ich einen regelrechten Ekel vor der Anatomie weiblicher Nacktheit - es gefällt mir vielmehr, ihre Schönheit nur anzudeuten, zu idealisieren. Zu sehr habe ich sie geliebt, als ihnen die Schmach aufzuerlegen, sie in ihrer Unvollkommenheit - ihrer Leibesfülle und ihrem Verfall - zu verewigen. Ich malte die Frauen nicht wie sie sind, sondern wie sie sein sollten: eine Abstraktion des Geistes, ein Traum. Allein Cornelia posierte für mich. Aber meine Deutsche war eine Amazone, die ich über alles liebte. Ansonsten hielt ich es mit den Männern. Hüllenlos ließ ich sie so posieren, wie ich es benötigte, und hatte ich sie einmal skizziert, legte ich ihnen Frauenkleider an. Meine Kinder hatten das so von mir gelernt.
    «Wenn du einen Mann und seine Seele abbilden willst», habe ich ihnen immer wieder gesagt, als ich sie die Grundlagen der Zeichenkunst lehrte,«musst du seinen Körper, seine Muskeln und Knochen studieren. Denn die Seele wird ausschließlich durch das Fleisch sichtbar. Körper und Seele sind unzertrennlich und ziehen sich wie Mann und Frau unwiderstehlich gegenseitig an. Nicht einmal der Tod kann sie trennen. Die Seele ist unsichtbar, unfühlbar, unantastbar. Dennoch gibt es sie. Und der Körper ist ihre Form.»«Und wenn du eine Frau portraitieren willst?», wollte Marietta wissen.«Da Frauen nicht dem menschlichen Geschlecht angehören, haben sie keine Seele», antwortete ich - doch sie wusste nicht, ob ich das ernst meinte oder nicht.«Daher brauchen wir ihren Körper nicht zu studieren. Der Körper einer Frau ist lediglich die Hülle ihrer Organe: ein ausdrucksloses Gewand.»
    So wurde Zuane zum Akt der heiligen Katharina. Eines schönen Tages aber saß mitten in der Werkstatt anstelle meines Sohnes - die Tintoretta.«Was ist denn hier los?», fragte ich und versuchte, meinen Schrecken zu überspielen.«Ich will keine Weiber in der
Werkstatt.»Dominico rechtfertigte sich, dass sie es ohne ein echtes Modell nicht hinbekämen. Die heilige Katharina sei ein junges Mädchen von scharfem Verstand gewesen, jedoch laut sämtlicher Quellen auch sehr schön, ja von ganz besonderer Anmut, und für die Szenen der Geißelung und im Kerker bräuchten sie einen wohlgeformten, jungen, nackten Körper. Zwar sei auch Zuane zweifelsohne gut gebaut und jung, ein Ephebe, der entblößt einem Apoll glich, nichtsdestotrotz sei und bliebe er ein Junge, und daher gehe es eben nicht: Die Szene führe zu einem grotesken Ergebnis. Deswegen hätten sie sich eine gemeine Hure besorgt. Ich solle nicht enttäuscht sein. In der Gegend von Sankt Katharina würden sich ja bekanntlich die besten Prostituierten Venedigs tummeln, die gewiss erfreut darüber seien, wenn sie erführen, dass einer von ihnen die Ehre zuteil würde, in ihrer Kirche die Märtyrerin zu verkörpern. Das habe obendrein sogar eine moralische Wirkung. Sie hätten sie für eine Woche oder zwei gekauft.
    «Wer ist auf diese Idee gekommen?», fragte ich, mühevoll meine Empörung zurückhaltend.«Ich», antwortete Marietta,«ich werde sie bezahlen, sei unbesorgt, dich wird sie kein Geld kosten. Ich habe die Tintoretta ausgesucht. Sie ist schön und gerade fein genug für Katharina, die Königstochter. Eigentlich wollte ich selbst posieren, aber dass mich alle nackt sehen können, hättest du nicht zugelassen. So posiert nun Andriana an meiner Stelle.»Marietta redete in einer derart dreisten, herausfordernden

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