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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Tochter auf ihren eigenen Namen getauft. Ihre Frage war um einiges hinterhältiger, als sie zunächst klang. Sie war einfach ein hinterhältiges Wesen. Dazu hatten sie die Männer gemacht - und vielleicht auch ich.
    Sie wollte mich also erpressen. In Mantua hatte ich beschlossen, sie mir endgültig vom Hals zu schaffen. Nicht meinetwegen oder wegen meiner Kinder. Auch nicht wegen Marietta. Vielmehr verlangte das späte Glück meiner Frau nach einer Belohnung für all das von ihr Erduldete. So antwortete ich Andriana, einzig meine Barmherzigkeit könne mich zu so etwas zwingen, denn es sei ja allgemein bekannt, dass so viele Männer ihr Bett besucht hätten, wie Pfefferkörner in ein Fass passten.
    Andriana warf mir im Spiegel ein flüchtiges Lächeln zu. Erst schien sie mir noch etwas sagen zu wollen, doch sie blieb stumm. Die Minuten verstrichen. Sie ließ mich schmoren. Glaubte, mich herumzukriegen. Ein wenig unruhig ermahnte ich sie, ich hätte wenig Zeit. Und das stimmte. Ein Dutzend Bilder warteten auf ihre letzten Pinselstriche. Jeden Tag klopfte jemand an meine Tür, um mir eine Arbeit anzubieten. In jener Zeit kamen all die Aufträge, denen ich jahrelang hinterherrennen musste, von selbst und sogar ungebeten - lenkten sie mich doch von der einzigen Arbeit ab, die mir etwas bedeutete. Ich hatte keine Zeit zu vertrödeln. Auch nicht mit Andriana. Dies sollte unsere letzte Begegnung sein.
    Andriana bat mich, mit den spitzen Silbernadeln den Zopf in ihrem Haar festzustecken, der sich auf ihrem Kopf zu einem Heiligenschein aus Stacheln formte. Halblaut, als wäre es beinah unwichtig, sagte sie, dass sie keine Zeit von mir wolle.«Niemand kann die Zeit eines Künstlers in Anspruch nehmen, Maestro,
nicht einmal seine Familie. Im Gegenteil, seine Familie am wenigsten. »Endlich erhob sie sich und öffnete die Wäschetruhe. Mir fiel auf, dass sie äußerst blass war. Ansonsten wies nichts auf eine kürzliche Entbindung hin. Ihre Tochter Andriana hätte genauso gut auch nicht das Licht der Welt erblickt haben können. Solche Gedanken gingen mir damals durch den Kopf. Dass es eine Erfindung sei, ein Vorwand - um mich immer wieder zu erpressen. Angst war das einzige Gefühl, das ich für dieses Mädchen noch empfinden konnte.
    Sie begann sich anzuziehen, ein weißes Seidenkleid mit goldenen Stickereien. Es war das Kleid, das sie auf den Bildern der heiligen Katharina trug, obschon ich es dort in ihrem Schlafgemach nicht wiedererkannte. Keines der Gewänder, mit denen wir unsere männlichen Akte als Frauen verkleideten, war Marietta damals elegant genug gewesen. Nicht die Jungfräulichkeit der heiligen Katharina sei in den Legenden das Wichtigste, erklärte sie ihren Brüdern, sondern Katharinas Weisheit, und Weisheit sei Licht. Daher holte sie von oben aus ihren Truhen das weiße Seidenkleid mit den Goldverzierungen; sie hatte es nur ein einziges Mal getragen, am Tag ihrer Vermählung mit dem Juwelier. Das Kleid, so erfuhr ich später, war der Preis für das Modellstehen gewesen. Aus Angst vor meinem Zorn hatte Andriana lange gezögert, überhaupt in meine Werkstatt zu kommen. Sie war dazu erst bereit, als Marietta ihr als Lohn ihr eigenes Brautkleid versprach. Ich aber dachte, Andriana würde sich mit diesem prachtvollen Kleid für einen neuen Liebhaber herausputzen.
    Auf einmal begann sie, belangloses Zeug zu plappern: vom Frühling im Mai, wenn ganz Venedig nach Kleefarn riecht, wenn die Schwalben laut kreischend ihre Nester bauen, wenn die weißen Blüten der Maulbeeren sprießen und die Erinnerung an Schmerz vergessen machen. Ich aber verspürte in jeder einzelnen sinnlosen Silbe aus ihrem Mund eine Bedrohung, die mein Leben ins Wanken bringen konnte.

    Ich besitze nichts, Herr. Das Leben ist ein Geschenk. Was mir gehört, hast du mir gegeben. An diesem Nachmittag aber begriff ich, dass irgendein dahergelaufenes Mädchen, das uns nichts bedeutete, dem ich nichts schuldete, das meinen und Mariettas Namen missbrauchte und mit allen Mitteln versuchte, meine Tochter, ja ihr Ersatz zu sein, dass dieses Mädchen mir alles nehmen konnte. Mein Interesse für sie hatte sich in Abscheu verwandelt. Diese Frau schritt wie eine böse Prinzessin im Märchenschloss durch ihr Zimmer und warf meinem Spiegelbild hin und wieder ein Lächeln zu, und ich war genau der, der ich zu sein schien: ihr Gefangener. Ich war in ihr Netz gegangen.
    Auf welche Art ich ihr das Geld anbot, weiß ich nicht mehr. Nur, dass sie es nicht annehmen

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