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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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wollte. Ich dachte, sie weigere sich lediglich zum Schein. Denn die Sprache des Geldes habe ich nie richtig erlernt. Wenn ich tatsächlich einmal ein wichtiges Werk zu malen hatte - etwa eine Apsis- oder Deckenbemalung -, wollte ich keinen Lohn dafür. Egal, welche Ausgaben und Mühen es mich gekostet hatte, keine Summe hätte es je begleichen können. Ideen, Leidenschaft und Phantasie besitzen keinen Preis oder Wert auf dem Markt. Nie wollte ich mich nach Stunden bezahlen lassen - wie ein Handlanger; noch nach zurückgelegter Strecke - wie ein Fährmann; noch nach Gewicht - wie ein Krämer. Zehn, fünfzig, hundert Dukaten wären den fliegenden Engel, den ich mir ausgedacht hatte, nicht wert. Wenn ich für mich akzeptiert hätte, für Geld zu arbeiten, Herr, hätte man meinen Wert genauso gut wie einen Haufen Mist auf der Waage abwiegen können. Wenn ich mich also weigerte, bezahlt zu werden, dann, um nicht gekauft zu werden. Andriana aber stand zum Verkauf.
    Hochrot im Gesicht bewarf sie mich mit Tintenfass, Medizinfläschchen und Duftflakons. Ich wich ihnen aus. Als ich einen Flakon mit der Hand abwehrte, zerbrach er, und der Inhalt ergoss sich über mich. Jetzt würde auch noch ihr Geruch auf meiner Haut kleben, den ich, selbst wenn ich mir die Hände im Kanal wusch,
nicht von mir abbekäme. Meine Frauen würden ihn bemerken - Marietta im Atelier, Faustina im Bett. Rasend vor Wut versuchte Tintoretta, mich aus dem Zimmer zu werfen.
    Ich bot ihr noch mehr. Alles, was ich in jenem Jahr verdient hatte. Für die meisten, das wusste ich, war es nur eine Frage des Preises. Und Andriana war keine Ausnahme. Endlich schlug sie ein. Das Geld hatte ich bei mir. Ich hatte schließlich nichts anderes erwartet. Als sie ihre Hand ausstreckte, packte ich sie und verlangte einen Schwur. Ich gäbe ihr eine Aussteuer, damit sie den Pfad der Untugend verlassen und ihr eigenes Leben führen könne, aber dafür müsse sie aus Venedig verschwinden. Sie dürfe sich nie mehr blicken lassen. Wenn sie glaube, mich hintergehen, ja mich bescheißen zu können, würde ich sie in den Ruin treiben. Ich würde einen Weg finden, eine Tarotkarte mit dem Bild des Teufels unter ihr Kissen zu schmuggeln, damit ihr wie einer Hexe der Prozess gemacht und sie an den Pranger gestellt werden würde. Von jugendlichen Strolchen verspottet und von Frauen bespuckt, würde man sie vom Markusplatz bis Rialto auspeitschen und ohne ein Stück Stoff am Leib aus Venedig verjagen.«Mein Guter», erwiderte Andriana lächelnd,«das würdest du nie tun.»«Und ob ich das tun werde», versprach ich ihr.
    Da schickte sie sich an, das Geld Münze für Münze nachzuzählen. Sie konnte kaum zählen, Herr. Bei dreißig angekommen, vertat sie sich. Und ausgerechnet ich half ihr weiter. Nebeneinander saßen wir zwischen den auf ihrer Bettdecke verstreut liegenden Silbermünzen. Angst verspürte ich keine mehr. Ich wusste, dass sie nicht log, dazu wäre das arme Mädchen gar nicht imstande gewesen. Sie war eine habgierige, schlichte Person - ein leeres, elendes Etwas ohne Seele und Würde. Sie tat mir leid.
    Sie hielt die Summe für angemessen. Noch nie hatte sie so viele Dukaten auf einmal gesehen.«Wie viel wiegt eigentlich ein Silberdukaten?», fragte sie mich.«Ist Silber leichter als Stein? Geht Silber unter, oder bleibt es oben?»«Silber ist ein Metall,
Andriana», erklärte ich ihr von ihrem kindlichen Unwissen erheitert,«natürlich geht es unter.»Sie lächelte und sah glücklich aus. Mit einem Taschentuch deckte ich die Münzen zu - ich konnte sie auf einmal nicht mehr sehen. Dann nahm ich sie wieder an mich. Sie musste mir noch etwas anderes versprechen. Wo immer sie hingehe - Florenz, Mailand, Rom -, nie wieder dürfe sie den Namen meiner Tochter benutzen. Ich sagte ihr, dass ich Marietta so vor ihr beschützen würde, wie ich sie vor mir beschützt hätte. Hätte ich es nur nicht getan. Aber es war passiert. Wie eine Bettlerin streckte sie nach mir - nicht dem Geld - die Hände aus. In jenem Augenblick bettelte sie tatsächlich, Herr, aber ich verstand es nicht. Dieses Wesen war im Begriff, aus meinem, aus unserem Leben zu verschwinden, was mich in Sicherheit wog. Wie sie es anstellen würde, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Plötzlich krallte sie sich wie eine Katze das Taschentuch aus meiner Hand. Dann versteckte sie ihre Beute unter ihrer Matratze. Ich stand auf. Es war vorbei.
    Sie begleitete mich zur Tür.«Andriana wird dir danken», sagte

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