Tintorettos Engel
Dukaten abgerungen. Der Prior sagte zum Abschied, dass ich ihnen eine große Freude bereiten würde, wenn ich das Bild bis Ostern fertig hätte. Für die stimmungsvollen Feierlichkeiten der Karwoche würde extra ein Priester aus dem Ausland anreisen, und das ganze Volk vom Cannaregio, selbst jene, die selten in die Kirche gingen, würde meine Arbeit bewundern können. Doch ich hörte ihm bereits nicht mehr zu. Auf dem Platz, wie ein Einschnitt im Gegenlicht des Sonnenuntergangs, erblickte ich die majestätischen Umrisse einer Frau mit lilafarbenem Umhang,
die den Arm hob, um jemanden herbeizuwinken. Es war Cornelia.
Seit Monaten hatte ich sie nicht mehr bei Tageslicht gesehen. Ich arbeitete wahrhaftig viel in jener Zeit und ging immer später zu meiner Geliebten. Und das auch nicht mehr jeden Tag. Herr, ich hatte begonnen, mich von ihr zu lösen. Ein kleiner Junge in grauen Hosen und mit grüner Kappe auf dem Kopf rannte so lange einem Kätzchen hinterher, bis er es am Schwanz zu fassen bekam. Nach wenigen Augenblicken merkte ich, dass der Junge Marietta war. Sie hielt sich das Kätzchen vors Gesicht und kraulte sein Köpfchen: Die Katze, die zunächst ihre Krallen herausgestreckt hatte, ergab sich und warf den Kopf in den Nacken. Als Marietta sich triumphierend zu ihrer Mutter umdrehte, erblickte sie mich.
Ich ging instinktiv einen Schritt zurück und versteckte mich im Schatten des Portals. Aber sie hatte mich schon erkannt und rannte auf mich zu, während sie die Katze am Hals an sich drückte. Auf dem Kirchplatz herrschte reges Treiben. Auch die beiden Mönche waren noch bei mir. Bruder Massimo erzählte mir gerade, dass es nicht gut um ihn stehe: Sollte ich noch einmal acht Jahre für das Bild brauchen, würde er das fertige Werk nicht zu sehen bekommen. Cornelia versuchte, sie aufzuhalten, doch Marietta entkam ihr, überquerte den Platz und klammerte sich schließlich an mein Knie.«Wer ist dieser Bengel, Maestro, kennst du ihn?», fragte mich der Prior.«Nein», antwortete ich hochrot im Gesicht.«Ja doch, er ist der Sohn einer Deutschen, an seinen Namen erinnere ich mich nicht.»
«Jacomo! Jakob!», rief Marietta, die mir auf Zehenspitzen das Tier entgegenstreckte,«kann ich die Katze behalten?»Ich versuchte, sie nicht zu beachten. Aber das Kind verstand es nicht - wie auch? -, sondern zerrte an meiner Hose und fragte unentwegt:«Darf ich die Katze behalten? Darf ich die Katze behalten?»«Wir hätten nicht herkommen dürfen, Maestro», sagte Cornelia,«es tut mir leid. Aber die Sümpfe von Santa Caterina sind von
Mücken befallen, und beim Kreuzträgerorden spielt eine Horde Jungen Fußball, dieser Platz hier ist der einzige in der Nähe, wo ich sie zum Spielen hinbringen kann. Die Kleine muss doch ein wenig an die frische Luft. Sie wird krank, wenn sie immer nur zu Hause sitzt.»Nachdem sie meinen Begleitern ein kurzes Lächeln zugeworfen hatte, packte sie Marietta am Handgelenk und zerrte sie von mir weg. Marietta stemmte die Füße in den Boden, ließ sich widerwillig fortschleifen und drehte sich mit ungläubigem Gesichtsausdruck immer wieder nach mir um.
Das war mein Platz, meine Pfarrei, meine Kirche. Cornelia hatte hier nichts zu suchen. Doch das überraschte kleine Mädchen mit den Kullertränen in den Augen, völlig verzweifelt, weil seine Mutter es gezwungen hatte, die Katze laufen zu lassen, oder vielleicht weil ich es abgewiesen hatte, war meine Marietta. Mein feiges Benehmen tat mir in der Seele weh. Ich vergaß den feindseligen Prokurator, versäumte es, mich vom alten Don Massimo zu verabschieden, und rannte quer über den Platz der Katze hinterher, bis ich sie am Schwanz erwischte. Dann lief ich meinen Frauen nach, die bereits die Brücke überquert hatten und im Dunkel der gegenüberliegenden Gasse verschwunden waren.«Hier ist deine Katze», sagte ich zu Marietta, die mich misstrauisch musterte.
«Es tut mir leid», wiederholte Cornelia.«Warum ziehst du sie wie einen Jungen an?», fragte ich vorwurfsvoll.«Weil sie meine Tochter ist», entgegnete Cornelia.«Ja und?», erwiderte ich und nahm Kind und Katze auf den Arm - ich wollte nicht, dass seine Mutter sie ihm wegnahm.«Es ist besser so.»«Was redest du da für wirres Zeug?», fragte ich und trat zur Seite, da ein Verladearbeiter die enge Gasse passierte und einen überfüllten Karren mit Holzscheiten hinter sich herzog, der uns hätte erdrücken können.«Willst du es wirklich wissen?», fragte mich Cornelia und starrte auf das
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