Tintorettos Engel
Kind, das freudestrahlend mit seinem kleinen Händchen den Hals der Katze streichelte.«Selbstverständlich will ich es wissen», war meine Antwort.«Sie haben mir bereits fünfzig
Dukaten für sie geboten.»«Sie ist erst drei Jahre alt!», rief ich erschüttert.«Eben», erwiderte Cornelia.«Sie ist meine Tochter. Das werden sie ihr nie verzeihen. Wer mich kennt, soll sie für einen Jungen halten. Dann werden sie sie in Frieden aufwachsen lassen.»«Nein», sagte ich,«sie ist meine Tochter.»
Zu Ehren meiner Tochter und ihrer gleichnamigen Beschützerin, der Jungfrau Maria, malte ich sie auf die Orgeltüren von Madonna dell’Orto. Auch ihre Mutter setzte ich mit aufs Bild, die von hinten mit Blick auf ihre fabelhaften, entblößten Schultern zu sehen ist. In wenigen Tagen war die großflächige Leinwand fertig, von der ich acht Jahre lang nicht einmal eine Vorstellung besessen hatte. Ich verwendete die kostbarsten und seltensten Farben. Für die blauen Stellen kaufte ich eigens ein Ultramarinblau. Eine Schale von diesem Pulver kostete mich siebzig Scudi - fünf Monate Arbeit. Und als es fertig war, bestäubte ich es mit feinem Mehl aus Dukatengold. Die Goldschuppen glänzten noch auf zwanzig Schritt Entfernung. Meine kleine Tochter stieg in einer glitzernden Wolke die Tempelstufen hinauf.
Es gefiel allen. Sie fanden es erstaunlich sakral. Vollendet, ausgeschmückt und elegant - was meine Werke eigentlich gar nicht waren. Meine übliche Grobheit war wie abgemildert, regelrecht verwandelt. Nachdem das Gemälde angebracht und in die Rahmung des Orgelschranks eingepasst worden war, schickte ich Schila zum Haus der Episcopi mit dem Auftrag, mir Faustina zu bringen. Verwirrt betrat sie in Begleitung ihrer Amme die Kirche: Es war ihre erste geheime Verabredung mit einem Mann. Ich führte sie zur Orgel.«Siehst du sie?», fragte ich sie und zeigte auf die Orgelklappen.«Ja und?», erwiderte Faustina.«Was soll ich dazu sagen, mir gefallen die Sachen nicht, die du malst, Maestro, die Frauen sind zu muskulös und die Männer verkrüppelt. Aber du hast mich gewiss nicht wegen meiner Ansicht hergebeten.»«Nein, richtig», sagte ich,«sondern wegen des Kindes.»
«Die Amme hat mir erzählt, dass du eine deutsche Tochter hast», erklärte Faustina. Ihre ruhige Art verwirrte mich, mit so viel gesundem Menschenverstand hatte ich nicht gerechnet. Sie war erst zwölf Jahre alt.«Aber wir werden ja auch Töchter haben», fuhr sie fort,«und die werden Venezianerinnen sein. Das Thema ist abgeschlossen, darüber brauchen wir nicht mehr zu reden. Nur eins musst du mir versprechen. Dass eines Tages auch ein Bild von unseren Kindern in einer Kirche hängen wird. Wunderschön und strahlend hell soll es sein, damit alle erfahren, wie sehr du sie liebst.»Sie verstummte. Mir fehlten die Worte. Faustina nahm auf einmal meine Hand, drückte sie ans Herz und schubste mich im düsteren Kirchenschiff hinter eine Säule, dann legte sie meine Arme um ihren Hals und presste ihre Lippen auf meinen Mund. Ich stieß mit den Zähnen an ein Metallstück. Blitzschnell löste ich mich aus der Umarmung und sprang hinter die nächstbeste Kirchenbank. Der Magnet fiel auf den Boden und machte ein klirrendes Geräusch. Für Dinge dieser Art konnte ich im Gefängnis landen oder ans Schiffsruder gekettet werden. In Venedig wimmelte es von Spionen - jemand hätte mich anzeigen können und dafür eine großzügige Belohnung eingeheimst.«Seid Ihr verrückt geworden?», fauchte ich sie an. Faustina lachte:«Da ich mich in Euch verliebt habe, offensichtlich ja.»«Wenn Ihr den Verstand verloren habt, dann geht und lasst ihn Euch wieder einsetzen», fuhr ich sie erneut an.«Mir reicht Eurer, Jacomo.»
Ich habe Cornelia nicht verlassen, Herr. Das weißt du. Bis zum Schluss bin ich ihr ein Freund gewesen. Sicherlich stimmt es, dass ich nun nicht mehr ihretwegen zu ihr kam - sondern wegen des Kindes. Es war ihre Tochter, die zu mir auf den Schoß kletterte, es war Marietta, die mir beim Essen feuchte Küsse auf den Nacken drückte, die mir vom Fenster aus zulächelte, wenn ich nach Hause zurückkehrte, die flach auf dem Rücken im Bett lag und auf meinen Gutenachtkuss wartete, ohne den an Einschlafen nicht zu
denken war. Sie schlief zwischen uns, in schwülen Sommernächten klebte ihr kleiner, warmer Körper an meinem Rücken, im Winter lagen ihre kalten Füße zwischen meinen Beinen. Um sie nicht aufzuwecken, warteten wir, bis sie ruhig atmend im Schlaf
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