Tintorettos Engel
versunken war, bevor wir uns im Dunkeln suchten und in aller Stille liebten. Mit der Zeit aber, als wir uns nicht mehr als Liebesgefährten ansahen, lag sie nicht mehr zwischen uns, um uns zu trennen, sondern um uns zu einen. Sie war der lebende Beweis des Guten, das wir einander getan hatten. Wenn Marietta meinen Namen sagte - Jacomo, denn sie nannte mich wie ihre Mutter -, schmolz ich wie eine Kerze dahin.
Eines Nachts teilte mir Cornelia mit, sie wolle nach Deutschland zurückkehren, werde schon bald abreisen, in den nächsten Tagen, bevor der Weg über die verschneiten Alpen für die Kutschen unpassierbar würde. Es traf mich wie ein Messerstich in die Brust, mir stockte der Atem. Doch Cornelia wollte mir das Kind nicht wegnehmen. Wenn ich es behalten wolle, würde sie es bei mir lassen. Ich würde Marietta gewiss eine bessere Kindheit bieten können, als sie sie gehabt habe. Und was sie betraf, so wolle sie mir nicht sagen, warum und seit wann sie diese Entscheidung getroffen habe. Sie habe sich entschlossen und fertig. Die Mietwohnung, die ich seit so langer Zeit schon für sie bezahlte, habe sie bereits gekündigt. Cornelia war eine Frau der wenigen Worte, und genau deswegen habe ich sie geliebt.
«Ich kann Marietta nicht nehmen», sagte ich,«ich bin ein zweiundvierzigjähriger Junggeselle, ich habe kein Dienstmädchen, sondern einen jungen, männlichen Gehilfen, einen Heißsporn, der auf Liebesabenteuer aus ist. Ich wohne in einem feuchten, heruntergekommenen Haus, in dem es nach Öl und Farbe riecht, und noch immer habe ich es nicht geschafft, mir einen Esstisch zu kaufen. Ich habe kein Tellerservice, arbeite den ganzen Tag und vergesse sogar zu essen.»
«Aber du wirst nicht mehr lange Junggeselle sein», warf Cornelia
ein. Erzählt hatte ich ihr nichts, aber sie ahnte es. Diesen Sommer hatten wir gemeinsam meinen Ruf an den Dogenpalast gefeiert, wo ich als Nachfolger von Tiziano Vecellio die Prinzen und ihre Führungsriege zu portraitieren hatte. Da die Dogen und Prokuratoren - alle weit über siebzig - bald das Zeitliche segneten und von anderen ersetzt wurden, deren Lebenserwartung genauso niedrig war, gewährte dieses Amt ein bescheidenes, aber festes Einkommen. Und Cornelia wusste, wohin ein festes Einkommen einen Mann führte, der die Vierzig überschritten hatte.
«Deine Braut ist es gewöhnt, bedient zu werden», sagte sie,«daher wird sie mindestens eine Hausangestellte mitbringen. Und mit ihrer Aussteuer wirst du das Haus herrichten können. Außerdem ist Marietta so wie ich, frei und unabhängig, und bereits sechs Jahre alt, schon bald wird sie niemanden mehr brauchen.»«Eine Mutter wird sie immer brauchen», sagte ich mit erhobener Stimme, ob ich das Kind aufweckte oder nicht, war mir egal.«Sie wird einen Vater haben», entgegnete Cornelia.«Der wird ihr reichen. Ich werde gehen, Jacomo.»Ich schaute im Dunkeln auf das über dem Kissen ausgebreitete Haar. Sie sah aus, als würde sie von lodernden Flammenwellen verschlungen werden.
«Nein», widersprach ich.«Du wirst nicht gehen, ich kann das Kind nicht nehmen.»«Weißt du noch, als du mich gefragt hast, was mein höchstes Glück sei, das du mir schenken wolltest, mein kleiner Mann?», fragte Cornelia.«Oder hast du das vergessen?»Marietta, die zwischen uns lag, wurde von unseren erregten Stimmen kurz wach und bat uns schlaftrunken, leise zu sein und sie nicht in ihrem Traum zu stören.«Natürlich habe ich das nicht vergessen», erwiderte ich. Da es in jenem Herbst schon früh kalt wurde, zog ich unserer Tochter die Felldecke über den Kopf.«Marietta ist das Schönste, was mir in meinem Leben passiert ist, und du hast sie mir geschenkt», sagte Cornelia.«Ermögliche ihr das Leben, das du mir gern ermöglicht hättest. Um dieses Glück bitte ich dich.»
Cornelia reiste im November ab, im Februar heiratete ich Faustina. Ich habe meine Amazone nie wieder gesehen. Einige Jahre nach ihrem Weggang bekam ich Besuch von ihrer Freundin Christina. Sie sagte, sie komme gegen den ausdrücklichen Willen von Cornelia, doch nach reiflicher Überlegung sei sie zu dem Entschluss gelangt, dass niemand in der Lüge leben wolle und sie es für richtig halte, dem Kind die Wahrheit zu sagen. Ich ließ nach Marietta rufen. Christina erzählte, dass Cornelia nie nach Deutschland gefahren sei. Letzten Endes sei sie gar nicht in der Lage gewesen, eine solch lange Reise anzutreten. Sie sei an Syphilis erkrankt. Wir wüssten ja beide, dass diese Krankheit
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