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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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von Donna Jacoma nicht erklären. Irgendetwas Unrechtmäßiges müsse sie aber getan haben: Wenn sie schließlich wieder zur Tür hinausgeschlichen sei, habe sie immer etwas verstohlen um sich geblickt, wie ein Langfinger.
    Sicher würde ich mich erinnern, fuhr Iseppo fort, dass der Juwelier eines Tages im Frühling unerwartet von seiner Reise nach Hormus zurückgekommen sei. Ja, ich erinnere mich: Wir hatten seine Rückkehr nicht vor Ablauf der nächsten fünf Monate erwartet, aber noch vor der Küste Albaniens hatte er wegen eines Gewitters
Schiffbruch erlitten und war gezwungen, sich eine andere Galeere zu suchen und umzukehren. Iseppo erzählte, er sei gerade in der Küche beim Abendessen gesessen, da habe er seinen Herrn am Ufer gesehen, wie er sich von einem Fährmann verabschiedete. Er sei sofort losgeeilt und habe an die Zimmertür geklopft, hinter der sich die Frauen seit Stunden aufhielten.«Madonna?», habe er gerufen,«Signora, der Meister ist da!»Keine Antwort. Er habe erneut geklopft - wieder nichts. Die Tür in den Palazzo sei geöffnet worden, der Juwelier sei am Fuß der Treppe stehengeblieben, um Dominico von dem Sturm zu erzählen.«Signora!», habe er, Iseppo, noch einmal gerufen.«Ja», habe sie ruhig erwidert,«ich habe verstanden, danke, Iseppo.»
    Der Juwelier sei also heimgekehrt, habe dem Burschen seine schweren Koffer aufgeladen und sich an der Treppe die Schuhe ausgezogen. Die Zimmertür sei aufgegangen, und die Signora sei dem Gemahl regelrecht in die Arme gelaufen. Sie sei barfuß gewesen und habe die japanische Simarre aus Seide mit dem dichten Wald und den Vögeln getragen.«Warst du schon zu Bett, meine Liebe?», habe der Juwelier reumütig gefragt, da er sie nicht nötigen wollte, ihn zu empfangen und sich zu erkälten. Signora Marietta habe ihn herzlich willkommen geheißen, ihn umarmt, sei ihm aber die Antwort schuldig geblieben.
    Im Nu habe sich Donna Jacoma so geschickt aus dem Haus gestohlen, dass der Juwelier nichts bemerkt habe. Mit eigenen Augen habe er, Iseppo, also gesehen, dass diese Frau wirklich eine Hexe und imstande war, sich unsichtbar zu machen. Niemandem habe er davon erzählt, nicht einmal dem Beichtvater, der ihn sonst gedrängt hätte, sie vor dem Inquisitionstribunal anzuzeigen. Dadurch aber wäre Madonna Marietta in die unschöne Geschichte verwickelt worden, und das habe er nicht gewollt. Ab und an habe er jedoch, nachdem die Signora das Haus verlassen hatte, das Zimmer nach Spuren ihrer Zauberwerke abgesucht, aber sosehr er sich auch angestrengt habe, nie habe er irgendein Fläschchen,
einen Zaubertrank oder Zauberstein gefunden. Offensichtlich habe Signora Marietta nichts Sonderbares angestellt, sondern sei lediglich hin und wieder lange und regungslos vor ihrem Spiegel gesessen - als wollte sie sich auf die andere Seite fallen lassen. Auf ihrem Gesicht sei ein trüber, grauer Schleier gelegen. Da habe er begriffen, dass die beiden Frauen den weißen Engel, also den Teufel beschworen.
    Einen Monat nach Mariettas Tod besuchte ich unter dem Vorwand einer Spende vonseiten der Rochusbruderschaft die Malerin unter dem Dachstuhl. Mein unerwarteter Besuch war Donna Jacoma nicht recht. In welchem verborgenen Winkel meines Gewissens ich den Mut fand, sie zu fragen, was sie und Marietta in den Gemächern meiner Tochter getrieben hätten, ob sie tatsächlich irgendeinen faulen Zauber mit ihr veranstaltet hätte, und wenn ja, welchen, und ob sie jemals den weißen Engel beschworen hätten, ist mir schleierhaft. Verdutzt schaute mich die Malerin an und sagte, dass meine Tochter der weiße Engel gewesen sei. Ich wollte wissen, was sie damit meine, aber Donna Jacoma lächelte nur. Die Spende schlug sie aus.«Ich brauche keine Hilfe, denn Armut ist keine Krankheit.»Ich bot mich an, ihr ein paar Bildchen abzukaufen, doch auch das verweigerte sie.«Es gebührt mir nicht, Euch mehr als meine Achtung vor Marietta anzubieten», erklärte sie mir.«Und die kann ich Euch nicht verkaufen, sondern nur schenken, denn auch sie vergab Euch alles und hätte Euch alles geschenkt, was sie besaß.»Danach begegnete ich ihr ab und zu auf den Fondamenta und im Buchladen. Wir unterhielten uns nie wieder.
     
    Meiner Tochter ging es nicht gut. Aber ich merkte es nicht. Den Personen aus meinem unmittelbaren Umfeld habe ich nie viel Beachtung geschenkt, Herr. Und in jenen Jahren weniger denn je. Ich kannte nur noch mein Atelier und die Scuola di San Rocco. Dazwischen gab es nichts außer

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