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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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unheilbar sei. Drei Tage zuvor sei Cornelia im Krankenhaus gestorben. Ihrem Wunsch gemäß habe man sie in Venedig beerdigt.«Welches Krankenhaus?», fragte Marietta. Christina trat ans Fenster, hob den Arm und zeigte jenseits des Kanals auf die schweren, dunklen Umrisse der Santa Misericordia. Nur wenige Schritte von mir entfernt war meine Amazone aus dem Leben geschieden.
     
    Ich nahm Marietta mit zu mir, in die Wohnung des baufälligen Palazzo del Cammello, die ich angemietet hatte, nachdem ich den Magazinraum im Rialto aufgegeben hatte. Ich war damals dreißig Jahre alt gewesen und hatte gedacht, ich würde es mit diesem Umzug zu Ruhm und Ehren bringen. In der Zwischenzeit aber hatte dieses Haus preisgegeben, was es hinter seiner selbstherrlichen Fassade verbarg: dunkle, feuchte Mauern und Milliarden von Insekten, die sich im verfaulten Holz im Boden, an Wänden und Decken vermehrten. Ein Haus, das sich fortzubewegen schien und bei jedem Schritt quietschte. Es gab nur ein Bett. Marietta schlief bei mir.
    Als meine blutjunge Gemahlin einzog, waren die Restaurationsarbeiten, die ich angestrengt hatte, um sie gebührend zu empfangen, noch nicht beendet. Das schmucklose Zimmer und die nüchterne
Einrichtung versuchte ich zu verschleiern, indem ich den Alkoven mit Vorhängen dekorierte, auf dem kleine, geflügelte Putten zu sehen waren. Ihre Entblößtheit gab alles preis. Faustina fand die Putten drollig und anstößig zugleich: Sie hatte noch nie ein männliches Geschlecht gesehen. Sie war wahrhaftig ein Mädchen aus gutem Hause. Als sie den Vorhang zur Seite zog, sah sie Marietta ausgebreitet auf den Decken liegen. Sie sagte lediglich, dass sie lieber an der Seite zur Tür schlafen wolle, da sie hin und wieder nachts aufstehe. Marietta rutschte zur Wand und meinte, sie würde uns gewiss nicht lästig werden.«Wie merkwürdig, ich dachte, du hättest einen deutschen Akzent», merkte Faustina belustigt an,«dabei sprichst du wie ich.»«Ich bin Venezianerin», empörte sich Marietta.«Du bist Deutsche», erwiderte Faustina lachend,«aber mach dir nichts draus, dafür kannst du nichts.»Dann gaben meine beiden Kinder sich und mir einen Gutenachtkuss, und alle drei waren wir auf der Stelle eingeschlafen.

18. Mai 1594
    Zweiter Fiebertag
    Meine Frau rüttelte mich vorsichtig wach.«Die Deutschen»- so nannte sie jeden, egal, woher er kam, der nicht das Glück hatte, in Italien geboren zu sein -«klopfen schon seit einer Viertelstunde an die Tür.»«Bin ich da, dann nicht für sie, bin ich nicht da, wozu klopfen sie an?», murrte ich und drehte mich auf die andere Seite. Etliche schlaflose Stunden hatte ich bereits in diesem Bett verbracht. Ich wusste nicht, ob es Abend oder Morgen war, und es interessierte mich auch nicht. Faustina lachte vergnügt, obwohl sie diesen Satz, der mir über Jahre hinweg als Schutzschild gedient hat, schon tausende Male gehört hatte. Scharenweise ziehen diese neugierigen Besucher von Künstler zu Künstler. Sie versuchen, unsere intimsten Geheimnisse aufzudecken. Sie schauen sich unsere bescheidenen Arbeitsmittel an - im Grunde nichts anderes als ein paar Holzstäbe, grober Stoff und eine Menge Haare aus Nase, Ohren und Hinterteilen irgendwelcher Mistviecher - und fragen nach unseren Ticks und Gewohnheiten: als würde unser Werk dadurch ein zweites Mal vollbracht werden. Dann setzen sie sich auf unsere Stühle und wollen wissen, woher wir unsere Ideen und Erfindungen nehmen - wie es vonstatten geht, wenn auf einer Fläche, wo nichts als grobe Leinwand ist, Körper und Figuren, Farben und Schatten erstehen. Sie beobachten uns beim Malen und sind verzaubert und enttäuscht zugleich. Denn sie sehen nichts weiter als gewöhnliche Menschen, großspurige junge Leute, zuweilen leichtsinnig, zum Teil sogar ungebildet und grobschlächtig, oder von Leid und Unheil gezeichnete Alte, und das verübeln sie uns, können sie uns nicht verzeihen.

    «Sollen wir sie etwa wegschicken, Jacomo?», wisperte Faustina enttäuscht.«Bedenke, dass du mit ihnen verabredet bist. Otto und Kini haben dir einen Geistlichen mitgebracht, ich glaube einen Bischof, zumindest einen äußerst glanzvollen, wenn man sich seine Ringe anschaut, die wiegen bestimmt ein ganzes Pfund, nun benimm dich nicht wie ein Lump, wir haben nichts zu verschenken, Jacomo, ich weiß sehr wohl, was es kostet, ein Haus wie unseres zu erhalten und den rechten Anstand zu wahren.»Meine Frau hofft immer auf Geschäfte. Ein Verkauf, eine

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