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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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erzählt, dass die Verhältnisse sich langsam änderten und es Pietro Aretino in Venedig sowie vielen anderen Schriftstellern in ganz Italien nun gelinge, von ihrem Beruf zu leben, genauso wie Goldschmiede, Schneider und Glaser. Dominico aber nickte und fragte mich lediglich, wann, wo und in welchem Orden. Als Priester oder Mönch? Jesuit? Karmeliter? Johanniter? Franziskaner? Zoccolant? Vielleicht könne er ja der Kongregation der Kanoniker von San Giorgio in Alga beitreten, die zum Kloster von Madonna dell’Orto gehöre: Die Brüder in den tief blauen Trachten seien allesamt Intellektuelle und Musiker. Die Vorstellung, Priester zu werden, missfiel meinem Sohn nicht nur gar nicht, sie begeisterte ihn geradezu. Er erklärte mir, er habe Männer kennengelernt, die sich für die Ordenstracht entschieden hätten, um im Auftrag der Kirche die Welt zu umrunden, um die Ureinwohner Afrikas, Indiens und Amerikas zu bekehren, um sich vom Vorwurf der Häresie zu befreien oder um, von jeglichem familiären Druck befreit, Unzucht treiben zu können: Daher habe es für ihn etwas Edles, Priester zu werden, um Dichter sein zu können. Auch für die Poesie müsse man - wie für die Malerei, die Wissenschaft und für Gott - jede andere Leidenschaft opfern.«Musen sind eifersüchtig», behauptete er mit ernster Miene. Spöttisch wies ihn sein Bruder Marco darauf hin, dass der Pinsel männlich, die Feder weiblich sei. Außerdem könnten Pinsel ihre Haare immer in Öl tunken, während es sich bei den Musen um Jungfrauen handle. Priester seien genötigt, es sich von Ministranten oder gemeinen
Weibern besorgen zu lassen.«Mein Glaube ist so wahrhaftig wie meine Liebe für die Musen», entgegnete Dominico,«du dagegen glaubst an gar nichts und bist ein Heide.»«Träum nur, Dominico, träum nur weiter von Purpur und Lorbeer», erwiderte Marco,«das wird dir auch noch vergehen.»
    So bereitete ihn der Hauslehrer für den Eintritt ins Seminar von San Marco vor. Dominico sah sich schon, wie er uns segnete und die Messe las, um uns vor den Qualen des Fegefeuers zu bewahren. Und auch wir sahen Dominico im Pluviale vor uns - während der Zeremonien, Prozessionen und Wandlungen. Dominico träumte davon, ein einflussreicher und gebildeter Priester zu werden wie sein Vorbild Kardinal Pietro Bembo. Ich dagegen befürchtete, er würde ein solch zynischer Priester werden wie der unglückselige Pomponio Vecellio, der in der Hoffnung auf ein recht ansehnliches Gehalt und ein Leben in Freuden und Wonnen die seinem Wesen nicht gerade entsprechende Mönchstracht akzeptiert hatte und bis an sein Lebensende sich selbst verfluchte. Meine Befürchtungen verheimlichte ich meinem Sohn jedoch.
    Faustina dagegen versuchte ihn mit ihrem praktischen Realitätssinn zu überzeugen. Wir besäßen weder genug Geld, um ihm eine Pfarrei, ein Priorat oder ein Benefizium zu kaufen, noch, um ihm den Eintritt in ein Kloster erster Güte zu verschaffen. Alles, was Dominico von der heiligen Kirche zu erwarten habe, laufe darauf hinaus, Priester in irgendeiner abgelegenen Pfarre für Weber und Seeleute zu werden oder als armer Mönch in einem zweitklassigen Orden Venedigs zu enden. Ein Geistlicher, der keine Zeit habe, Gedichte zu lesen, geschweige denn zu schreiben.
    «Aber das wird nicht passieren», wandte Dominico ein.«Der Klerus in dieser Stadt ist einfach minderwertig und ungebildet. Der Großteil glaubt nicht einmal an Gott. Ich aber werde erfolgreich sein. In der Kirchenhierarchie wird man auf mich aufmerksam werden. Sie brauchen Männer wie mich, um die Reform durchzusetzen und die wahre Kirche wieder einzuführen. Allein
tüchtige, rechtschaffene Männer, die mit gutem Beispiel vorangehen, verleihen den im Himmel beschlossenen Erneuerungsvorhaben ihr Gewicht - ansonsten glaubt das Volk doch weiterhin, dass es sich um dummes Geschwätz von Kardinälen handelt. Für die Rechristianisierung Italiens und Venedigs werden barmherzige und kampflustige Heilige, aber auch aufrichtige und geschulte Priester benötigt - und einer von Letzteren werde ich sein. Irgendwann werde ich vom Patriarchen gerufen werden, oder vom Papst. Und wenn ich nach Rom gehe, werdet ihr mich begleiten. Papa wird im Vatikan arbeiten, wie Michelangelo, und wie Tizian ein Portrait vom Papst malen. In der Bruderschaft werde ich Don Fausto heißen, allein dir zu Ehren, Mama, und weil mir mit diesem Namen die Zukunft geneigt sein wird.»Meine Frau und ich wussten nicht, ob wir unseren so redegewandten

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