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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Sohn bewundern sollten - oder eher fürchten.
    Selbst nach Mariettas Hochzeit ließ Dominico nicht von seiner gnädigen Richterin ab: Vielmehr besorgte er sich noch einen weiteren Richter. Mit einem Stapel Blätter unter dem Arm stieg er in den zweiten Stock hinauf. Marietta und Marco Augusta waren seine einzigen Zuhörer. Die Reime meines Sohnes hatten nicht mehr als zwei Leser. Wer weiß, ob Dominico noch immer Verse dichtet. Sicher ist, dass er wenige Tage nach der Verlobung seiner Schwester um Aufnahme in die Malerzunft bat.«Willst du nicht mehr Priester werden?», fragte ihn Marietta ungläubig.«Solltest du nicht im September ins Seminar eintreten? Hatten sie dich nicht bereits angenommen?»«Nein, ich mach das nicht mehr», wiegelte Dominico ab,«ich hab mich anders entschieden.»Marietta konnte es nicht fassen.«Und Petrarca? Und die Musen?»«Ich kann ihn nicht allein lassen», erklärte Dominico bitterernst. Er war gerade siebzehn geworden und sprach mit einer Entschlossenheit, die man nur in äußerst jungen Jahren an den Tag legen kann, ohne lächerlich zu wirken.«Du wirst heiraten, auf Marco ist kein Verlass, und Zuane wird früher oder später seiner Musik folgen.
Irgendjemand muss doch bei unserem Vater bleiben.»«Aber ich bleibe doch bei ihm!», rief Marietta empört.«Aber du bist eine Frau», erwiderte er,«du hast ihn bereits verlassen.»
    Dominico wurde mein tüchtigster Mitarbeiter. An die Namen der vielen anderen kann ich mich nicht mehr erinnern. Einige wie Hans, Pieter und Lodewijk habe ich sehr gerngehabt. Andere kamen, lernten und gingen bald wieder, da sie nicht neben mir untergehen, nicht hinter meinem Namen verborgen bleiben wollten. Dominico blieb. Auf ihn war stets Verlass. Nie beklagte er sich über seine Aufgaben als Stellvertreter. Für mich - und an meiner Stelle - hat er in den letzten fünfzehn Jahren ohne Anspruch auf Anerkennung oder Ruhm all die Bilder gemalt, die ich nicht malen konnte oder wollte. Seine Entscheidung scheint er nie bereut zu haben. Er war ein lobenswerter Schüler und idealer Sohn, und ich hoffe, mich ihm so erkenntlich gezeigt zu haben, wie er es verdient. Jeden Tag hat er fleißig und hingebungsvoll gearbeitet - mit einer Leidenschaft, die er in seinem tiefsten Innern gefunden haben muss. Er traf sich zwar weiterhin mit Dichtern und Priestern - und in Venedig spotten sie, dass niemand bessere Portraits von Priestern male als Dominico Tintoretto -, aber als einer von ihnen betrachtete er sich nicht mehr. Ob er das für mich oder für sich getan hat, werde ich nie wissen können, allerdings stelle ich mir diese Frage auch nicht. Er hat es einfach getan.
     
    Da ich diese Nacht nicht schlafen würde, denn inzwischen habe ich mich so an das Opium gewöhnt, dass es nicht mehr wirkt, schlug ich ihm vor, mich allein zu lassen und sich endlich selbst schlafen zu legen. Dominico schüttelte den Kopf:«Ich bin kein bisschen müde.»Doch seine geschwollenen Lider, die dunklen Augenringe und das strähnige Haar verrieten das Gegenteil. Seine Gegenwart ist mir ein großer Trost. Immer schon. Dominico hatte von Anfang an ein sicheres Gespür für mich. Er ist eigensinnig und hat einen eisernen Willen. Seine Kraft spüre ich. Meine innere
Anspannung hat er jedoch nicht geerbt - wenngleich er im Übrigen der einzige Sohn ist, der sich für den gleichen Lebensweg wie ich entschieden hat. Er ist so praktisch und bodenständig wie seine Mutter geworden. Bei ihm habe ich das Gefühl, alles, was ich aufgebaut habe, in sichere Hände zu legen. Wenig ist es nicht, vielleicht reicht es.
    «Wenn du nichts dagegen hast, Vater», fügte er hinzu,«würde ich gern die ganze Nacht bei dir bleiben.»Als ich erwiderte, dass ich nicht sonderlich gesellig sei, rückte er den Sessel heran und meinte lächelnd, daran sei er ja gewöhnt. Ich bat ihn, mich auf den neuesten Stand seiner Arbeit zu bringen - denn obschon die Zukunft mit mir nichts mehr zu tun habe, wäre er schließlich noch da, und die Zukunft auch. Sachlich und mit übertriebener Bescheidenheit erzählte Dominico, dass der Gemäldezyklus, den er zusammen mit Antonio für die Laienbruderschaft der Kaufleute erst kürzlich fertiggestellt habe, bei allen gut angekommen sei. Daher träfen nun weitere Anfragen von anderen Ordenshäusern ein. Einige venezianische Klöster hätten Altarflügel und Heiligengemälde in Auftrag gegeben. Das Kollegium sei mit seiner Dekoration der Säle im Dogenpalast, die sie mir anvertraut hatten,

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