Tintorettos Engel
gläsernen Stab in die Bottiche und zeichnete, als hielte ich einen Stift in der Hand, Skizzen orientalischer Wälder, von Matrosen und Takelagen auf Boden und Wände. Die Mauern der Färberei waren meine ersten Leinwände.
Ich war elf Jahre alt, als der Handelsvertreter der Färberei mir vorschlug, ihn nach Smyrna und Bagdad zu begleiten: Die Fässer im Lager mussten wieder mit Pulver, Körnern und Kristallen, die mein Vater in Farben verwandelte, aufgefüllt werden. Da mein Vater von meinen Heldentaten mit den Glasstäben erfahren hatte, fragte er mich, ob ich mitfahren wolle. Mich aber interessierten die Länder der Farben nicht, nur die Farben selbst, wenn auch nicht so, wie sie meinen Vater interessierten. Ich machte mir weder etwas aus Seide noch aus dem Geld, das er durch sie erwirtschaftete.
Battista Robusti war ein wohlhabender Mann. Nachdem er sein Heimatdorf am Ufer eines Sees, der mitten in den Bergen im Norden der Republik lag, verlassen hatte, mit nichts auf dem Leib, aber doch mit Verstand und Mut ausgestattet, wurde ihm binnen weniger Jahre die Staatsbürgerschaft von Venedig zuerkannt. Wenig später vermählte er sich mit einer Tochter aus gutem Hause. Er wusste durchaus, wie er etwas werden konnte: Für sein hohes Ansehen, das er genoss, bewunderte ich ihn. Auch ich wollte etwas werden, aber jemand viel Bedeutenderer als ein Färber. Ich wollte nicht Tücher rot, blau oder schwarz färben, sondern Wände. Schließlich tat ich es. Als er eines Tages nach Hause kam, sah er den Beweis, nachdem ich mir einen Spachtel angefertigt und die Wände mit einer dicken, hellblauen Farbschicht bemalt hatte. Ich hatte in dieses Haus, in das zu keiner Tageszeit die Sonne schien, nicht weniger als den Himmel hineingeholt.
Und so fand sich mein Vater - schweren Herzens, denn ich war sein Erstgeborener, der einmal seine Werkstatt übernehmen sollte - mit der Vorstellung ab, mich malen lernen zu lassen. Da er aber noch immer mit dem Gedanken spielte, mir seinen Willen aufzuzwingen und sein zweites Ich aus mir zu machen, setzte er mir einen griechischen Ikonenmaler vor die Nase, der sich damit zufriedengab, Heiligenbildchen zu malen. Für diesen Mann war die Malerei ein mühevoller und undankbarer Beruf, der kaum etwas einbrachte. Und genau so, glaubte mein Vater zu wissen, ergehe es so gut wie jedem Maler. Nur wenigen gelinge es, ein würdevolles Leben zu führen, geschweige denn zu Ruhm und Ehren zu kommen. Für die meisten bedeute die Malerei Leid und Qualen, in jedem Fall aber ein unsicheres und anstrengendes Leben voller Demütigungen und Enttäuschungen. Da ich sein Lieblingssohn sei, wolle er mir all dies ersparen. Er hoffte, dass mein Wunsch sich verflüchtigte, je häufiger ich den Ikonenmaler sah.
«Weil Jacomo ständig so tut, als wäre er ein Teufel, um das abergläubische, gemeine Volk fernzuhalten, hat er sich inzwischen beinah tatsächlich in einen verwandelt», erklärte er ihm.«Wenn Ihr es schafft, ihn ruhig zu halten und zu lehren, dass man die sündhaft teuren Farben nicht einfach an die Wände klatscht, sondern auf nützlichere Art gebraucht, schenke ich Euch hundert Ellen Seide.»Das war deutlich mehr, als der arme Kerl erwartet hatte.
Drei Tage später teilte der Ikonenmaler meinem Vater voller Demut mit, dass er mir weder etwas beibringen noch mich von meinem Vorsatz, Maler zu werden, abbringen könne. Daher solle ich nicht zu ihm in die Schule gehen, sondern zu einem richtigen Maler. Er riet Signor Robusti, alles daranzusetzen, um mich im Atelier des bestangesehenen Maestros von Venedig unterzubringen.«Und wer ist das?», fragte mein Vater, der in Sachen Malerei bei Giorgione und Carpaccio stehen geblieben war.«Sein Name ist Tiziano Vecellio, aus Cadore», antwortete der Ikonenmaler. Und ich sei ein unausstehlicher kleiner Zwerg, ein winziges Zäpfchen,
ein Holzstöpsel, mit dem man die Pulverfässer verschließen könne - doch was die Farben angehe, da wisse ich bereits alles. Mein Vater belohnte ihn für seine Aufrichtigkeit, und mit einem Ballen scharlachroter Seide auf dem Rücken machte sich der Ikonenmaler davon.
Heute fühlt sich selbst der kleinste Anwalt, Arzt oder Händler, der ein paar Dukaten in der Tasche hat, gekränkt, wenn er kein Bild von mir besitzt. Sie geifern nach meinem Namen wie nach einem Wechsel für die Münze. Herr, ich habe wahrlich großen Respekt vor der grausamen Ironie des Schicksals. Denn nichts ist dem Sohn des Tuchfärbers leicht gefallen. Fünfzig
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