Tintorettos Engel
platt sitzen. Ich werde von der Malerei leben, und wenn ich mich am Ende im Kanal ertränken muss.
Zusammen mit einem Freund wohnte ich auf Höhe der Wasserkante im Lagerraum eines heruntergekommenen Hauses jenseits des Rialtos. Da ich den einen oder anderen Sonnenstrahl zum Malen benötigte, hatte ich mir die Seite mit dem Fenster ausgesucht, während sich Wolfram in der dunklen Ecke einrichtete, weil er zum Schleifen seiner Diamanten, die er, um die Einfuhrsteuer zu
umgehen, heimlich von Schmugglern erwarb, Helligkeit nicht gebrauchen konnte. Allein im Dunkeln oder bei schwachem Kerzenlicht fand er durch genaue Untersuchung der Lichtreflexe heraus, ob ihm die Seeleute Glasstücke untergeschoben hatten. Denn die unechten glitzerten nicht. Der Zunft der Maler beziehungsweise der Goldschmiede und Diamantenhändler beizutreten war uns damals noch nicht gelungen. Wolfram war ein Fremder. Aber auch ich fühlte mich stets fremd. Und Fremde habe ich zeitlebens gemocht.
Zur Essenszeit verwandelten wir die Wohnungstür in einen Tisch, an dem wir unsere Mahlzeiten einnahmen. Wenn der Schirokko fegte, stieg die Flut zuweilen so hoch, dass wir im Morgengrauen auf unseren Betten wie auf Felsklippen im Meer festsaßen. Gläser, Geschirr, Schuhe, alles, was wir auf dem Boden vergessen hatten, schwamm in einer Drecksbrühe umher - die uns, nachdem sich das Wasser wieder zurückgezogen hatte, tote Mäuse hinterließ. Wolfram stellte rasch fest, dass er ein Vermögen machen konnte, wenn er die Schmuckstücke nicht verkaufte, sondern an die verlieh, die sie - den Gesetzen unserer Machthaber gemäß - nicht besitzen durften: Frauen, die davon lebten, sich selbst zu vermieten. Daher wurden seine Kundinnen auch zu meinen. Oder ich zu ihrem.
Über Jahre hinweg verzierte ich Mitgifttruhen und malte Bildchen, die so winzig waren, dass ich fürchtete, an ihnen mein Augenlicht zu verlieren. Ich war jedoch nicht für die Miniaturmalerei gemacht. Ich dachte in größeren Dimensionen. Große Gemälde, ganze Wände, Paläste. Da Maurer die Straßenmaler gemeinhin sehr schätzen, während sie für Salon- und Kirchenmaler nicht viel übrig haben, geben sie ihnen meist unverhohlen den Namen derer preis, für die sie gerade arbeiten. So kam es, dass ich die verputzten Mauern jener Häuser mit Fresken bemalte, die sie gebaut oder restauriert hatten, und dass ich mitunter Historienbilder malte, um die mich die Eigentümer nie gebeten hatten - die
sie aber am Ende akzeptierten. Anfangs zwar widerwillig, später mit einer gewissen Bewunderung - denn letzten Endes wusste ich, was ich tat. So bemalte ich nach und nach Decken und Schlafzimmer, richtete Salons ein, verzierte Möbel, Kamine und Schränke - ich erschaffte traumhaft schöne Zimmer, in denen ich liebend gerne selbst gelebt hätte. Ich verschenkte meine Bilder an Dutzende Personen, die sie nicht wertschätzten, damit sie eines Tages jemand sah, der mir seinen Palast oder den Altar seiner Kapelle anbieten würde.«Dieser Zwerg von Tuchfärber, dieser arrogante Narr, dieser angeberische Prahlhans», empörten sich die anderen Maler,«er bringt unsere Zunft in Verruf. Für wen hält er sich?»
Für einen Niemand. Niemand . Doch ein Künstler hat nur dann wahrhaftig Erfolg, wenn die Öffentlichkeit ihn bei seinem Vornamen nennt. Denn diese Vertrautheit ist kein Zeichen eines persönlichen Verhältnisses - sondern von Respekt. Nicht als handelte es sich um einen Bruder oder Freund, den sie zu kennen glauben, nennen die Menschen große Maler bei ihren Vornamen, sondern als wären sie Könige. Wahre Künstler brauchen keinen Nachnamen - geschweige denn einen Spitznamen. Mein Traum war es, eines Tages von den Menschen Jacomo genannt zu werden - wie sie auch Raffael, Tizian und Michelangelo sagten.
Mein Freund Andrea, der das ganze Jahr über als Tuchfärber und an Karneval als Schausteller arbeitete, war der Meinung, dass mein Problem nicht vorwiegend ästhetischer, sondern sozialer Natur sei: Ich hätte nicht die richtigen Bekanntschaften.«Was nützt es dir, das Schlafzimmer eines angesehenen Gelehrten zu bemalen, das niemand jemals betreten wird, oder den Altarflügel einer frommen Schneidergilde? So wird niemand auf dich aufmerksam. Du vergeudest deine Zeit. Für berühmte Schriftsteller musst du malen: Auf einer ihrer Seiten zitiert zu werden bringt mehr ein, als zehn Madonnen für irgendwelche Handwerker zu zeichnen. Du musst für die Republik malen. Und um für die Republik malen zu können,
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