Tintorettos Engel
Jahre lang wurde ich für einen unverschämten Quälgeist gehalten. Wie ein entlaufener Hund sein Herrchen habe ich meinen Meister gesucht, aber der Meister hat mich nicht gewollt. Der Mann, der für mich die Malerei in Person war - Tizian -, hat mich nicht an sich herankommen lassen: Er hat mich abgewiesen, mich wie einen tollwütigen Streuner fortgejagt. Daher orientierte ich mich mal an diesem, mal an jenem und nahm jede Gelegenheit wahr, die sich mir bot. Ich hatte zu viele Lehrer; ihre zwiespältigen und gegensätzlichen Lehren haben sich jedoch nicht in mir aufgehoben, im Gegenteil: Sie prallten auf- und legten sich übereinander und vermengten sich wie das Wasser mehrerer Flüsse in einer Mündung. Heute bin ich Sohn und Schüler meiner selbst. Ich habe mich selbst auf die Welt gebracht.
Wie der schwächste Welpe eines Wurfs, dazu verurteilt zu verhungern und von den anderen Hunden ausgegrenzt und zerfleischt zu werden, erkämpfte ich mir das Recht zu überleben. Pausenlos habe ich gelernt und gearbeitet - mehr als alle anderen. Als ich mir endlich ein Haus kaufen und eine eigene Opferschale leisten konnte, ließ ich in die Fassade meines Hauses eine Herkulesstatue einfassen. Herkules, der Kämpfer und Pilger, Krieger und Reisende - mein Ebenbild.
Erinnerst du dich, als ich dreizehn war? Ich war wie versessen auf die Malerei, wissensdurstig brannte ich darauf, etwas zu tun, wenngleich ich ausreichend Demut besaß, um einzusehen, dass ich erst ganz Venedig nach den Werken derer absuchen musste, die meine Väter und Großväter hätten sein können und die ich alsbald nachahmen wollte, in dem törichten Glauben, ihnen eines Tages ebenbürtig zu sein, sie gar überholen zu können. Wer hätte einen solchen Schüler gern um sich gehabt? Sie durchschauten mich bereits, als ich mich als Gehilfe in ihren Werkstätten vorstellte und ihnen meine Bilder zeigte. All die, von denen ich etwas lernen konnte, wollte ich zum Lehrer haben.«Ich brauche keinen Lehrling», antworteten sie vorsichtig,«ich habe schon einen.»Ich sah Jungen in meinem Alter um ihren Lehrmeister stehen. Er war ihnen Vater, Herr und Meister zugleich.«Ja, Meister, ja, Meister», sagten sie immer wieder. Auch ich sehnte mich danach, zu den von mir verehrten Malern«ja Meister»zu sagen.
«Ich heiße Jacomo und bin der Sohn des Färbers Battista, das hier kann ich alles», sagte ich frech und zeigte meine Bilder vor,«ich möchte unbedingt für Euch arbeiten, Meister.»«Tüchtig, mein Knabe, du bist schon sehr gut, fast zu gut, aber ich habe bereits genug Gehilfen, ich brauche keinen mehr», entgegnete einer von ihnen hastig und gab mir meine Mappe zurück.«Aber ich suche keinen Vertrag», erklärte ich,«ich möchte Erfahrungen sammeln, arbeite ohne Bezahlung.»«Junge», entgegnete der Meister besorgt,«ich kann keinen Ärger gebrauchen, ich will nicht, dass mir die Magistratur Bußgelder auferlegt.»«Nehmt mich auf Probe, ich bitte Euch, Ihr braucht mir weder Mittag- oder Abendessen noch Kleider zur Verfügung zu stellen, ich habe schon eine Familie, die mich versorgt, ich werde Euch in keiner Weise zur Last fallen. Alles, was ich möchte, ist, von Euch zu lernen und Euch, so gut es geht, zu dienen.»
So habe ich angefangen. Ohne Vertrag, ohne Gehalt, ohne Namen. Die Meister mit viel Arbeit und wenig Ruhm nahmen mich
an. Alles, was sie wussten, brachten sie mir bei - mal sehr viel, mal fast nichts. Ich lernte, auf ihre Art zu malen. Lernte zuerst, sie zu sein - dann ich selbst. Mit der Zeit merkte ich, dass ich nicht weit damit kommen würde, es allein meinen verschmähten Meistern gleichzutun. Daher lernte ich, diejenigen nachzuahmen, die den besten Ruf in der Stadt genossen - die bei der Regierung und den einflussreichsten aristokratischen Familien am gefragtesten waren. Zugegebenermaßen habe ich so einige Pordenones, Salviatis und Tizians gemalt - eine Angewohnheit, die ich nicht so schnell wieder ablegte, stellte ich doch noch viele Jahre später so manchen Paolo Veronese und Jacopo da Bassano her. Ich bin Anfang und Ende ein und derselben Kette, das ist die einzige Lektion, die ich unterrichten könnte. Für meine Diebstähle bekommt man keine Ohren oder Hände abgehackt. Und gestohlen habe ich von jedem etwas - dem einen eine verkürzte Figur, dem anderen die Farbe eines Himmels, dem nächsten ein Madonnengesicht oder ein Hundeprofil. Ich klaute aus Kunst und Natur: Ich bezahlte muskulöse Hafenarbeiter dafür, nackt für mich zu
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