Tintorettos Engel
musst du Politiker kennen und ihre
Sympathie gewinnen. Du musst für Familien malen, die was zählen, für Kirchen mit Vermögen, für Liebhaber, die auf der Suche nach neuen Talenten sind, für Laienbruderschaften, in denen Stadtbürger versuchen, mit prall gefüllten Geldbörsen ihre Seele zu retten.»Wenn man in jener Zeit nicht das Privileg hatte, für den Staat zu arbeiten - und ich hatte es nicht, denn Politikern schöne Worte zu machen und mir ihre Gunst zu erwerben habe ich noch nie vermocht -, dann übernahmen die Bruderschaften die Entscheidung, welcher Maler sich einen Namen machen konnte und welcher einsam in der Anonymität versank.«Und um für die Bruderschaften zu malen», fuhr Andrea fort,«musst du Gedanken, Lebensweise und Gehorsam der gottesfürchtigsten Stadtbürger kennen und teilen. Du musst sie davon überzeugen, dass du ihrer würdig und in der Lage bist, sie abzubilden, verstehst du?»«Du hast gut reden», entgegnete ich,«aber wie soll ich an sie herankommen?»«Häng dich einfach an mich», erwiderte Andrea lachend.
An Karneval spielte er vor jenen stocksteifen Bürgern der Republik, die alles, was sie besaßen, gegeben hätten, sollte es einer schaffen, sie zum Lachen zu bringen. Andrea schaffte es: Er brachte sie sogar vor Freude zum Weinen. Ich entwarf für seine Truppe Masken und Kostüme, malte Bühnenbilder, erfand Nebel- und Regenmaschinen. Da sich meine Erfindungen herumsprachen, engagierten mich nach einer Weile auch die Adeligen, die aus reinem Vergnügen Theater spielten und einen Abend lang Schauspieler sein wollten - ob Kaufmann, Färber oder Prinz, ein jeder träumt davon, einmal in die Haut eines anderen zu schlüpfen, eine andere Identität zu bekommen, ein anderes Leben.
«Warum widmest du dich nicht dem Theater?», schlugen mir die Aristokraten unter ihnen vor.«Aber ich widme mich bereits dem Theater», antwortete ich.«Nur dass in meinem Theater Schauspieler, Schriftsteller, Regisseur, Bühnenbildner, Kostümbildner und Zuschauer eine Person sind: ich.»Auf ihren Festen
trat ich als Begleitung zusammen mit meinem Bruder auf, der sich letztendlich für die Musik entschieden hatte. Ich baute eigenhändig Instrumente, die sich diese adeligen Herrschaften nicht einmal im Traum vorstellen konnten: vierzigsaitige Lauten, Flöten aus Glas und mit einem Mundaufsatz aus Horn, Mandolinen, die man entweder mit den Zehen oder den Zähnen spielen konnte. Wie der Narr aus dem Tarockspiel setzte ich mir eine Glockenmütze auf und spielte. Narren haben nämlich das Glück, Teufelsmusik spielen und sagen zu können, was sie denken, ohne deswegen auf dem Markusplatz gehängt zu werden.«Wie lustig der Färbersohn ist», befanden die Zuschauer,«schade nur, dass er sich noch selbstherrlicher als ein König benimmt.»Etliche der jungen Herren haben es später weit gebracht. Ich lernte sie kennen, als sie noch dichtes Haar und den mannhaften Körper eines Soldaten hatten und scharf wie läufige Hunde waren. Zwanzig Jahre später - als sie in den Senat, die Regierung, an die Macht gerufen wurden - haben sie sich an mich erinnert.
Von meinem ersten Verdienst legte ich mir Drucke und Gipsnachbildungen der größten Meisterwerke zu.«Was willst du damit? », fragte man mich.«Kauf dir lieber einen Wollmantel und miete dir eine anständige Werkstatt, anstatt wie ein armer Fischer zu leben.»«Ich bin gut versorgt», antwortete ich.«Die einen ernähren sich von Rindfleisch, ich von Kunstwerken. Ich kann sie gut verdauen und werde satt.»
Während meine Kunden in den Zimmern schliefen, die ich ihnen bemalt hatte, während meine Freunde als Graveure, Steinhauer und Kistenmacher untergekommen waren, mit ihren Angetrauten das Bett teilten und Kinder in die Welt setzten, deren Pate ich wurde, lebte ich noch im Magazin hinter dem Rialto, schlief auf einem verschimmelten Kissen und gab mich mit den Huren, Dienstmägden und Ehefrauen der anderen zufrieden. In jener Zeit gaben die gefragten Schriftsteller sehr viel auf mich, ihre Verehrer bewunderten mich, und den Adeligen kam ich äußerst
gelegen - denn ich war kostengünstig. Das bürgerliche Volk dagegen misstraute mir. Da es das Geld vergöttert, fürchtet es jeden, der es verachtet. Ich bewarb mich bei ihren Bruderschaften um Aufnahme. Sie aber wiesen mich jedes Mal ab. Ich hatte damals bereits dreißig Jahre auf dem Buckel. Mein Leben stand still, mein beruflicher Werdegang lahmte - ich war ein ungeschliffener Diamant, den niemand
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