Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
gehört dem Mädchen?«
»Unzweifelhaft. Sie hat sich noch nicht eine Stunde von ihm getrennt. Deswegen bin ich mir ja so sicher, dass ihr nichts geschehen ist. Hätte sie die Flucht ergriffen, ihn hätte sie als erstes mitgenommen!«
Die alte Dame bückte sich nach dem frommen Utensil und hob es mit allen Anzeichen des Entsetzens auf. Die geschnitzten Holzkugeln trugen ein schlichtes Muster, und ihre Augen suchten Janniks Blick.
»Weißt du, was das ist?«, wisperte sie fassungslos.
»Ein Rosenkranz«, stellte er eher gereizt fest. »Das fromme Werk eines Bauern, der sich mit dem Schnitzmesser versucht hat.«
Dame Marthe lachte höchst seltsam auf. »Es ist das kostbarste Stück des Familienbesitzes der Kelén! Man sagt, es sei der Rosenkranz des heiligen Briocus, der zu den großen Missionaren unseres Landes zählt. Dieses Ornament«, sie deutete auf die seltsamen Wirbelformen, welche in die Perlen geschnitzt waren, »ist ein Triskell. Ein Kreuz mit drei gewundenen Armen, die das Feuer, das Wasser und die Erde symbolisieren. Es geht auf unsere Ahnen zurück, und Briocus hat sie verwendet, um den Bogen zum Christentum zu schlagen!«
»Familienbesitz der Kelén?« Jannik behielt von der ganzen komplizierten Erklärung nur den Namen des bekannten Adelsgeschlechtes, als weigere er sich, über den Rest genauer nachzudenken. »Was wollt Ihr damit sagen?«
»Dass dies der gesuchte Beweis ist!« Die Augen der alten Dame schwammen in Tränen. »Wenn dieser Rosenkranz Tiphanie gehört, dann ist sie Elaines kleine Tristane, die ich mit eigenen Armen über das Taufbecken in der Kirche von Kelén gehalten habe, damit sie in die christliche Gemeinschaft aufgenommen wird. Bisher musste ich davon ausgehen, dass das Mädchen mit seinen Eltern ums Leben kam, als Paskal Cocherel diese Provinz verwüstete und die alte Festung zerstörte! Aber sie ist wirklich Tristane de Kelén! Offensichtlich hat sie eine milde Seele vor dem Massaker gerettet und in das Kloster gebracht.«
Der Ritter starrte auf das archaische Schmuckstück in den Händen seiner Tante. Wie in Trance fuhr er sich über die Stirn, als könne er damit die Bilder wegwischen, die sich ungebeten in seinen Geist drängten. Aber war es nicht egal, ob sie Tristane de Kelén oder der Novizin Tiphanie Unrecht getan hatten? Die junge Frau hinter diesen Namen blieb immer dieselbe!
»Wir müssen es ihr sagen, wenn sie zurückkommt«, sagte er verhalten.
»Wenn sie zurückkommt ...«
Ein höfliches Kratzen an der Tür erregte ihrer beider Aufmerksamkeit, und Jannik war mit einem Sprung dort, um sie aufzureißen. Erwann bat um Einlass. Ein Erwann, der bleich und besorgt wirkte.
»Was ist?«, erkundigte sich sein Herr knapp.
»Ich denke, Ihr solltet es selbst ansehen«, erwiderte der Knappe bedrückt. »Ich kann ihn nicht hierher bringen, er ist bei den Ställen ...«
Marthe de Branzel und ihr Neffe tauschten einen Blick, aber keiner von ihnen wagte die Frage zu stellen, die eigentlich nahe liegend gewesen wäre. Den hölzernen Rosenkranz mit aller Kraft umklammernd, bemühte sich die alte Dame, mit den beiden jungen Männern Schritt zu halten.
Sie eilten die breite Steintreppe hinunter in die Vorhalle und von dort auf den Hof und zum Trakt der herzoglichen Ställe hinüber. Eine Gruppe von Männern stand dort neben dem großen Ziehbrunnen.
Wie von selbst wichen die Menschen bei ihrem Anblick zur Seite und machten Platz, damit sie sehen konnten, was da am Brunnen lag. Ein Berg nasses, blutverklebtes Fell, der alle vier Pfoten von sich streckte. Aber ein Berg, der hechelte und lebte. Marron!
Jannik beugte ein Knie und strich mit suchenden Händen über den Körper des Hundes. An Kopf und Schulter fand er die Male von Schlägen, die mit verheerender Wucht geführt worden sein mussten. Ein Holzknüppel, wenn nicht gar eine Eisenstange, vermutete er. Marron ließ die Untersuchung mit unerwarteter Ergebenheit über sich ergehen. In seinem geradlinigen Hundeverstand gehörte Tiphanie zu Jannik, und deswegen musste nun alles in Ordnung kommen.
»Die Wachen haben ihn entdeckt«, keuchte Erwann, der von dem schnellen Hin und Her ganz außer Atem war. »Er kam durch das Haupttor, und sie hätten ihn vermutlich mit Steinen vertrieben, wenn sie nicht das Halsband erkannt hätten. Es trägt das Wappen des Herzogs, deswegen wollten sie ihn zum Hundemeister in den Zwinger bringen, aber ich bin ihnen vorher über den Weg gelaufen ...«
»Heilige Mutter Gottes, was bedeutet das?«,
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