Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
das Hemd, sogar noch die Haut der Schulter aufriss. Tiphanie stieß ein überraschtes Wimmern aus. Glühende Flammen fraßen sich von ihrer Schulter aus nach unten, und ihr Magen krampfte sich zusammen.
»Du lügst!«, wiederholte der Mann erbarmungslos. »Man nennt dich Tiphanie, und du warst die niedrigste unter den Novizinnen von Sainte Anne d’Auray!«
Tiphanie blinzelte gegen die Tränen des Schmerzes an. Sie versuchte ihr Entsetzen zu verbergen. Sie war diesem Teufel hilflos ausgeliefert. Die einzigen Waffen, die ihr zur Verfügung standen, waren Verstand und Sprache. Sie zwang sich, die Schmerzen zu übergehen und den Kampf aufzunehmen.
»Warum fragt Ihr, wenn Ihr es wisst«, rief sie heiser und fühlte zu ihrer eigenen Verblüffung einen plötzlich aufflammenden Zorn, der fast ihre Brust sprengte. »Warum tut Ihr mir weh?«
»Damit du begreifst, dass es keinen Sinn hat, mich anzulügen!«, erhielt sie zur Antwort. »Die Äbtissin hat auch dir einen Stein aus dem Kreuz von Ys gegeben. Wo ist dieses Juwel?«
Tiphanie gab einen Laut von sich, der ebenso Überraschung wie Überdruss war. Was kümmert sie dieser dumme Stein? Sie hatte längst vergessen, dass sie ihn besaß, und sie bezweifelte sowohl seinen Wert wie seine Macht.
»Ich weiß es nicht!«, entgegnete sie dennoch widerspenstig.
Der nächste Hieb traf in präziser Grausamkeit die Spur des ersten. Blut rann über Tiphanies Haut, und der Schmerz entlockte ihr einen leisen Wehlaut.
»Und wenn Ihr mich schlagt, bis kein Tropfen Blut mehr in mir ist. Ich weiß es nicht!«, wiederholte sie gleichwohl mit bebender Stimme.
Es lag etwas in ihrem Ton, das sogar Paskal Cocherel auf den Gedanken brachte, dass sie möglicherweise tatsächlich die Wahrheit sagte. »Willst du mir weismachen, du hättest einen Edelstein von unschätzbarem Wert und höchster Magie einfach verloren? Wofür hältst du mich, für einen närrischen Trottel?«
»Für einen Grobian, der mir seinen Namen verschweigt!« Tiphanie erschrak vor sich selbst. Welcher Dämon ritt sie, solche Dinge zu sagen?
»Wenn’s nur das ist. Du sprichst mit dem künftigen Herrn dieses Landes. Ich bin der Herzog von St. Cado, und in Kürze werde ich auch der Herzog der ganzen Bretagne sein! Du schuldest mir Gehorsam!«
Tiphanie wäre zurückgezuckt, hätten ihr die grausam verschnürten Fesseln einen Hauch von Spielraum gelassen. So weiteten sich lediglich ihre Augen in namenlosem Grauen. Ein erstickter Atemzug weitete ihre Brust, als ihr klar wurde, dass dies der Mann war, der Furcht und Schrecken über Sainte Anne d’Auray gebracht hatte.
»Nein!«, wisperte sie tonlos.
»Der Stein, Mädchen! Wo hast du ihn versteckt?«
»Habt Ihr Graciana das auch gefragt, mit deren Namen Ihr mich hergelockt habt?«
Sie konnte sich den Anflug unbeherrschter Wut nicht erklären, der bei der Nennung dieses Namens über Paskal Cocherels Gesicht flog. 3 Aber sie begriff, dass sie in eine tödliche Falle getappt war.
»Du beantwortest hier die Fragen, Täubchen!«
»Selbst wenn ich es Euch sagte, würde es Euch nichts nutzen«, flüsterte Tiphanie und schloss gequält die Augen.
Sie ertrug seinen Anblick nicht länger. Die Tatsache, dass sie mit dem Mörder Mutter Elissas sprach, mit dem Mann, der die Frauen von Sainte Anne gefoltert und getötet hatte, war zu viel für sie. Die schrecklichen Erinnerungen brachen mit verheerender Macht über sie herein.
Nur die Stricke verhinderten, dass sie vom Stuhl rutschte und die Besinnung verlor. Schmerz, Angst, Schock und glühende Wut formten sich in ihrer Brust zu einem Knäuel, das ihr den Atem abdrückte.
»Verdammt, du wirst mir jetzt nicht ohnmächtig werden!« Cocherel packte sie an der verletzten Schulter und riss so grob daran, dass sie mit einem Wehlaut die Augen wieder öffnete.
»Mörder!«, schrie sie mit solchem Abscheu, dass sogar der abgebrühte Söldnerführer für einen Augenblick innehielt. Dieses winzige Geschöpf weinte, hatte Schmerzen und widerstand ihm dennoch mit einem Mut, den er sich von manchen seiner Männer gewünscht hätte.
»Der Tod kann sehr wohl eine Erlösung sein«, zischte er drohend in das zarte, schmale Gesicht, das ihn in seiner Tapferkeit und Unschuld auf das Höchste reizte. »Willst du wirklich all die Schmerzen auf dich nehmen, die ich dir zufügen werde? Ich will dieses Juwel, und ich werde es bekommen, das schwöre ich dir!«
»Dann holt es Euch«, höhnte Tiphanie verächtlich. »Der Rubin ist in der Burg des
Weitere Kostenlose Bücher