Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
es die meisten Männer nicht besitzen. Einen noblen Stolz, wie ich ihn bei einer Frau nur ein einziges Mal kennen gelernt habe. Sie wird sich nicht beugen und um etwas bitten, das ihr nicht freiwillig gewährt wird.«
Die eindringliche Erklärung traf Jannik de Morvan tiefer, als er es nach außen hin eingestehen wollte. Tiphanie all diese noblen Eigenschaften zuzuschreiben würde umgekehrt bedeuten, dass er sich selbst als den Schurken in diesem Spiel bezeichnete.
»Und warum habt Ihr diese ihre empfindliche Ehre bei unserem gestrigen Gespräch nicht beachtet?«, erkundigte er sich aufgebracht. »Es kann diesem Stolz nicht bekommen sein, was er da gehört hat.«
»Du lieber Himmel, auf Gefühle und Vermutungen lässt sich keine Zukunft bauen«, entgegnete die alte Dame unwirsch. »Sollte ich ihr Hoffnungen darauf machen, die Herrin von Morvan zu werden? Es besteht ein Unterschied zwischen Menschenkenntnis und Dummheit. Auch wenn Tristane vermutlich von noblem Blut ist, so gibt es keinen einzigen Beweis dafür. Ohne diesen Beweis ist sie nichts als ein bildschönes, reizendes Findelkind, das Ihr entehrt habt, mein Lieber. Und deswegen seid Ihr mindestens ebenso für sie verantwortlich, wie ich es aus freien Stücken bin!«
Die zutiefst nüchterne und praktische Einschätzung der Dinge stieß den Ritter ebenso ab, wie er sie bewundern musste. Seiner leidenschaftlichen Seele war derlei kühles Kalkül fremd. Er hatte einmal über die Maßen geliebt und war enttäuscht worden. Danach war er in das andere Extrem geflüchtet und hatte alle sanften Gefühle vollkommen geleugnet. Auf eine Weise ebenso extrem wie das andere und weit von jeder sachlichen Einschätzung entfernt. Trotzdem bemühte er sich, den Anschein zu erwecken, als bliebe er auch jetzt gelassen.
»Wie stellt Ihr Euch vor, dass ich dieser Verantwortung nachkommen soll? Was denkt Ihr, was es für einen Eindruck erweckt, wenn ich die Burg von oben bis unten durchsuche, weil ich das kleine Mündel meiner Tante nicht mehr finden kann? Ich habe nicht die Absicht, mich lächerlich zu machen. Wir werden warten!«
Marthe de Branzel konnte ihn verstehen, aber da war etwas in ihr, das ihre Sorge trotzdem nicht zur Ruhe kommen ließ.
»Ich muss etwas tun, wenn ich nicht wahnsinnig werden will!«, sagte sie unerwartet heftig.
»Seid Ihr sicher, dass sie nicht längst wieder in ihrer Kemenate ist?« Der Ritter versuchte, die Lage in den Griff zu bekommen. »Lasst uns nachsehen. Ich möchte wetten, dass wir sie dort antreffen!«
Eine Wette, die er verlor. Das kleine, einfache Gemach mit dem großen Pfostenbett und der steinernen Feuerstelle, das er so gut kannte, war leer. Die Decke, auf der Marron normalerweise vor dem Kamin lag, hing zusammengelegt über einem Taburett. Die Kleidertruhe war geschlossen, und die wenigen Toilettengegenstände vor dem Gestell des Spiegels lagen in peinlicher Ordnung nebeneinander. Bürste und Kamm, daneben ein silbernes Band, das er als jenes erkannte, das sie beim Bankett des Herzogs getragen hatte. Ein bestickter Almosenbeutel aus schwarzem Samt mit rosafarbenen Blütenranken.
»Seht Ihr, sie kommt wieder!« Er deutete triumphierend auf Kamm und Bürste. »Keine Frau, die das Weite sucht, verzichtet auf so notwendige Gegenstände.«
»Tristane ist nicht wie jede Frau«, seufzte seine Tante. »Wenn Ihr nicht einmal das wisst, seid Ihr tatsächlich zu einem Klotz ohne jeden Hauch von Fingerspitzengefühl geworden. Es sind geschenkte Dinge, die da liegen. Eine geliehene Pracht, auf die sie kein Recht zu haben glaubt!«
»Ach?« Jannik griff nach dem Almosenbeutel und fühlte die vertrauten Umrisse großer Perlen darin. Er zog die Schnur auf und schüttete den Inhalt aus großer Höhe auf den Tisch. »Und warum hat sie ausgerechnet das zurückgelassen? Diesen hässlichen Rosenkranz, den sie gehütet hat, als sei er ein Schatz? Sie sagte einmal, er sei ihr einziges Besitztum, und deswegen sei er ihr teuer. Wenn er hier ist, dann ...«
Er kam nicht dazu, weiterzusprechen. Seine Tante stieß einen erstickten Laut aus und griff sich an die Kehle. Sie starrte auf die grobe Holzperlenkette mit dem dicken Anhänger, die klappernd über das Holz kollerte und vom eigenen Schwung getragen auf die steinerne Kaminumrandung fiel, wo sie liegen blieb.
»Was habt Ihr?« Auf den Ritter wirkte es, als wolle die alte Dame jeden Moment in Ohnmacht fallen. »Geht es Euch nicht gut?«
»Dieser Rosenkranz?«, wisperte sie tonlos. »Du sagst, er
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