Titan 10
geglaubt, bei einer Explosion würden ein paar Häuser in allernächster Nähe mit in die Luft fliegen, aber niemals an solch eine Gefahr gedacht. Jetzt begriff er langsam, daß die Explosion nicht nur örtlich begrenzte Folgen haben würde. Kein Wunder, daß Jenkins so nervös war; er litt nicht unter zu starker Fantasie, sondern an zu fundiertem Wissen über die tatsächlichen Zustände. Ferrel sah ihnen zu, wie sie sich über die Papiere beugten und die Formel noch einmal durchgingen, in der Hoffnung, irgend etwas zu finden, das sie bislang übersehen hatten, dann entschloß er sich, sie nicht weiter zu stören.
Für Jorgenson schien es keine Hoffnung mehr zu geben; er war verantwortlich für diesen Mann und war somit mitschuldig daran, wenn die Fabrik wirklich explodieren sollte. Aber er konnte keine Lösung anbieten. Sicher könnte er sämtliche Nerven im Körper bis auf die zwischen Gehirn und Kehle absterben lassen und Jorgenson einen künstlichen Kehlkopf einsetzen, aber diese Methode hatte auch keine Aussicht auf Erfolg. Die Radioaktivität verhinderte immer noch, daß Jorgensons Gehirn die Sprechimpulse weiterleiten konnte. Außerdem war es mehr als fragwürdig, ob das Gehirn nicht selbst betroffen war.
Glücklicherweise hatten die Splitter sich sehr fein verteilt und saßen an keiner Stelle so dicht und nah beim Gehirn, daß sie ihn um den Verstand bringen könnten. Aber andererseits waren sie wieder zu fein verteilt, um operativ entfernt zu werden. Es war sogar hoffnungslos, Jorgenson die Fragen vorzulesen und seine Antworten an einem Zukneifen der Augenlider ablesen zu wollen.
Jorgensons Nerven waren funktionsunfähig, blockiert; Ferrel fragte sich jedoch, ob das nicht auf jeden zutraf, der an dem Problem arbeitete, die Explosion noch zu stoppen. Wahrscheinlich konnten sie alle nicht mehr klar denken, die Lösung nicht erkennen, da sie zu stark unter der Furcht und dem Zeitdruck litten. Jenkins, Palmer, Hokusai – theoretisch hätte jeder von ihnen die Antwort sofort gefunden, aber jetzt, da sie lebensnotwendig war, schafften sie es nicht. Vielleicht traf das auch auf ihn zu? Aber obwohl er versuchte, sich zu entspannen und seinen Geist frei umherstreifen zu lassen, kehrten sie doch ständig zu einem einzigen Punkt zurück: Er mußte etwas tun, und zwar schnell!
Ferrel hörte müde Schritte hinter sich, drehte sich um und sah Palmer zum Haupteingang hereinkommen. Hier hatte er zwar nichts zu suchen, aber auf solche Formalitäten gab man jetzt nichts mehr.
»Was ist mit Jorgenson?« fragte Palmer erschöpft, aber an Docs Gesichtsausdruck erkannte er schon, daß es keine Neuigkeiten gab. »Sind Hoke und dieser junge Jenkins immer noch hier?«
Doc nickte und deutete auf Jenkins’ Büro. Sie konnten ihn nicht gebrauchen, aber er glaubte immer noch, daß sie irgend etwas übersahen, solange sie sich so stark auf ein einziges Problem konzentrierten. Auch er war neugierig und wollte wissen, was sie gerade ausbrüteten. Er setzte sich in den dritten Sessel, und Palmer ließ sich auf der Tischkante nieder.
»Kennen Sie ein gutes Medium, Jenkins?« fragte der Manager. »Wenn ja, wäre ich sogar bereit, seinen Geist zu befragen. Er war der beste auf diesem Gebiet und mußte sterben, bevor das Isotop R bekannt war. Jetzt kann er uns keine guten Ratschläge mehr geben, wie wir diese Nuß knacken können. Ist was mit Ihnen?«
Jenkins’ Gesicht war verkrampft. Er hing im Sessel, als wäre ihm übel, aber er schüttelte den Kopf. Dabei zuckten seine Mundwinkel eigenartig. »Nichts. Ich bin wohl etwas nervös. Hoke und ich grübeln darüber nach, wieviel Zeit uns noch bleibt. Wir haben die genaue Antwort noch nicht, aber wahrscheinlich explodiert die Masse in sechs bis dreißig Stunden. Zehn Stunden scheinen uns der genaue Wert zu sein.«
»Viel länger kann es wohl nicht mehr dauern«, sagte Palmer. »Die Männer kommen jetzt schon nicht mehr an den Reaktor heran, selbst mit den Panzern nicht. Momentan benutzen wir noch Reaktor 3 als provisorisches Hauptquartier, aber in einer halben Stunde wagt sich niemand mehr in die Nähe. Die Strahlung verbreitet sich gleichmäßig über das gesamte Werksgelände. Die Hitze ist unerträglich, fast dreihundert Grad Celsius und steigt immer noch. Wenn das so weitergeht, wird auch Reaktor 3 explodieren.«
Doc blickte auf. »Reaktor 3?«
»Ja. Er ist ja noch völlig in Ordnung und produziert das I‐713 einwandfrei.« Palmer wollte nach einer Zigarette greifen, bemerkte,
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