Titan 10
Ich muß gestehen, daß ich ein wenig verwirrt bin. Ich vermute … nun, ich vermute, das soll heißen, daß Sie nicht wollen, daß ich heirate?«
»Ach, das«, meinte Nelson gleichgültig. »Nimm sie, wenn du sie magst – ihr Vater kann nichts mehr dagegen haben. Aber ich muß dich warnen, du wirst sie leid werden.«
Hugh Hoyland verschlang geradezu die alten Bücher, die sein Mentor ihm zu lesen gab, und fühlte kein Verlangen mehr, die vielen, vielen Sprossen hochzuklimmen oder auch nur Nelsons Hütte zu verlassen. Mehr als je zuvor fühlte er, daß er dem Geheimnis auf der Spur war – einem Geheimnis, das genauso verschwommen wie seine Fragen war – aber gleichzeitig stieg seine Verwirrung.
Augenscheinlich war es schwieriger, die Weisheit des Standes der Wissenschaftler zu erringen, als er es sich vorgestellt hatte.
Einmal, während er sich über die seltsame, unverständliche Welt der Alten Menschen den Kopf zerbrach und versuchte, ihre alte Redeweise und unbekannten Ausdrücke zu entschlüsseln, kam Nelson in die kleine Kammer, die für ihn hergerichtet worden war, legte ihm mit väterlicher Geste eine Hand auf die Schulter und sagte: »Nun, wie läuft es, mein Junge?«
»Nun, gut genug, Sir, glaube ich«, gab Hugh zurück und legte das Buch beiseite. »Manches ist mir noch nicht klar – noch nicht so klar, daß ich die Wahrheit daraus lesen könnte.«
»Das war zu erwarten«, sagte der alte Mann gleichmütig. »Ich habe dich allein an die Arbeit geschickt, damit du die Fallen erkennen kannst, in die ein unbefangener Mensch unweigerlich hineinstolpern wird. Viele dieser Dinge kann man nicht ohne Anweisungen verstehen. Was hast du denn da?«
Er nahm das Buch auf und warf einen Blick darauf. Die Grundlagen der modernen Physik. »Ah! Das ist eine der wertvollsten der geheimen Schriften, obwohl ein Unbedarfter ohne Hilfe wohl keinen Nutzen daraus ziehen kann. Zuerst, mein Junge, mußt du verstehen lernen, daß unsere Vorfahren in all ihrer geistigen Perfektion die Dinge nicht so betrachtet haben, wie wir es tun.
Sie waren unheilbare Romantiker – und keine Rationalisten wie wir. Die Wahrheiten, die sie uns hinterlassen haben, sind häufig – obwohl sie zutreffen – in Sinnbilder gekleidet. Bist du zum Beispiel schon bis zum Gesetz von der Schwerkraft vorgestoßen?«
»Ich habe darüber gelesen.«
»Hast du es auch verstanden? Nein, ich kann dir ansehen, daß du es nicht begriffen hast.«
»Nun«, verteidigte sich Hugh, »es schien überhaupt nichts auszusagen. Entschuldigung, Sir, aber es klang einfach lustig.«
»Genau das meine ich auch. Du hast es in seiner literarischen Formulierung zu verstehen versucht, genau wie die Gesetze der Elektrizitätslehre, die auch irgendwo in diesem Buch stehen. ›Zwei Körper ziehen sich proportional zum Produkt ihrer Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat ihrer Entfernung an. ‹ Das klingt wie ein Gesetz für simple physikalische Gegebenheiten, nicht wahr? Trotzdem ist etwas anderes damit gemeint: auf diese poetische Art drückten die Alten Menschen die Rolle der Entfernung bei der Gefühlsregung Liebe aus. Die Körper sind Menschen, die Masse deren Fähigkeit zur Liebe. Junge Menschen haben eine größere Fähigkeit zur Liebe als ältere; wenn man sie zusammenfügt, verlieben sie sich, wenn man sie voneinander trennt, überwinden sie dieses Gefühl schnell. ›Aus den Augen, aus dem Sinn. ‹ So einfach ist das. Aber du suchtest irgendeine tiefere Bedeutung darin.«
Hugh grinste. »Ich wäre nie auf die Idee gekommen, es so zu betrachten. Jetzt verstehe ich, wieso ich noch eine Menge Hilfe brauche.«
»Hast du sonst noch ein Problem?«
»Hm, ja, noch ziemlich viele Fragen, die mir jetzt aber nicht einfallen. Nur noch eins, Vater: Kann man Muties als Menschen ansehen?«
»Ah, ich sehe, du hast dummem Geschwätz zugehört. Die Antwort darauf ist beides: ja und nein. Es ist wahr, daß die Muties ursprünglich von Menschen abstammten, aber sie sind nicht länger mehr Teil des Schiffsvolks – man kann sie nicht mehr als zugehörig zur menschlichen Rasse betrachten, da sie gegen Jordans Gesetz verstoßen haben.
Aber darüber kann man lange reden«, fuhr er fort. »Dann und wann stellt man mir sogar die Frage nach der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Mutie. Manche beziehen diesen Ausdruck auf die Mutigen, die während der Rebellion dem Tode entronnen sind, indem sie sich in abgelegene und verbotene Teile des Schiffs verkrochen. Aber in den Adern
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