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Titan 11

Titan 11

Titel: Titan 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Bova , Wolfgang Jeschke
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auf. »Richtig. Ein Märchen.« Er fuhr sich über die Lippen. »Dieser faule Jack kam als Kind von Terra hierher«, erzählte er weiter. »Er wuchs auf dieser neuen Welt auf, studierte unser Wirtschaftssystem und kam sich mächtig clever vor. Also entschloß er sich, Nassauer zu werden.« »Was ist ein Nassauer?« fragte Gleed dazwischen. »Jemand, der Obs annimmt und nichts tut, um sie abzuarbeiten oder selbst welche zu vergeben. Er nimmt alles für sich in Anspruch, leistet aber selbst nichts.«
    »Jetzt verstehe ich. Ich kenne selbst einen oder zwei von dieser Sorte.«
    »Bis zum sechzehnten Lebensjahr kam Jack damit durch. Er war ja noch ein Kind. Und alle Kinder versuchen in gewisser Weise zu schummeln. Das erwarten und dulden wir auch. Aber als er sechzehn war, saß er dick in der Tinte.«
    »Wieso?« fragte Harrison, obwohl er sein Interesse an dieser Geschichte eigentlich verbergen wollte.
    »Er zog durch die Stadt und akzeptierte Obs haufenweise. Mahlzeiten, Kleider, einfach alles, was ihm in den Sinn kam. Aber die Stadt war nicht sehr groß. Überhaupt gibt es auf diesem Planeten keine großen Städte. Sie sind alle so klein, daß jeder jeden kennt – und wir sprechen viel miteinander. Nach drei oder vier Monaten wußte die ganze Stadt, daß Jack ein ausgemachter Nassauer war.«
    »Erzählen Sie weiter!« forderte Harrison ungeduldig.
    »Dann versiegten alle Quellen«, sagte Seth. »Wo immer er auch hinkam, antwortete man ihm: ›Das werde ich nicht tun!‹ Das ist wahre Freiheit, nicht wahr? Er bekam keine Mahlzeiten mehr, keine Kleider, keine Unterhaltung, keine Gesellschaft. Gar nichts. Schon bald war er furchtbar hungrig und brach eines Nachts in einem Lebensmittelgeschäft ein, um nach sieben Tagen endlich wieder einmal essen zu können.«
    »Was hat man dagegen getan?«
    »Überhaupt nichts.«
    »Aber das ermutigte ihn doch nur noch, oder?«
    »Wie sollte es?« fragte Seth und lächelte dünn. »Er hatte nichts davon. Am nächsten Tag war sein Bauch wieder leer, und er mußte erneut stehlen. Und am nächsten Tag auch. Und am darauffolgenden. Die Leute wurden mißtrauisch, schlossen ihre Läden ab und bewachten sie. Es wurde Jack immer schwerer gemacht. Schließlich konnte er nirgendwo mehr stehlen, so daß es für ihn einfacher war, die Stadt zu verlassen und sein Glück anderswo zu probieren. Also zog der faule Jack von dannen.«
    »Und machte irgendwo anders weiter«, warf Harrison ein.
    »Die Ergebnisse blieben gleich«, berichtete Seth. »Er zog zur dritten Stadt, zur vierten, zur fünften, zur zwanzigsten. Er war einfach zu stur, um die richtigen Schlüsse zu ziehen.«
    »Wieso?« widersprach Harrison. »Er bekam doch, was er wollte, indem er einfach von einer Stadt in die andere zog.«
    »Nein, eben nicht. Wie ich schon sagte, sind unsere Städte ziemlich klein. Und die Bewohner unseres Planeten reisen viel. In der zweiten Stadt mußte Jack das Risiko auf sich nehmen, von jemandem aus der ersten erkannt zu werden, der ihn sofort verraten hätte. Von Stadt zu Stadt wurde es schlimmer. In der zwanzigsten konnte er von Bewohnern der neunzehn anderen erkannt werden.« Seth lehnte sich vor. »Siebenundzwanzig Städte ging das so gut«, erklärte er mit Nachdruck.
    »Und?«
    »Er blieb zwei Wochen in der fünfundzwanzigsten, eine in der sechsundzwanzigsten und nur einen Tag in der siebenundzwanzigsten. Das war der Anfang vom Ende.«
    »Was hat er dann getan?«
    »Er zog in die Wildnis, versuchte, von Wurzeln und Beeren zu leben. Dann verschwand er – bis ihn eines Tages ein paar Spaziergänger an einem Baum baumelnd fanden. Er trug nur noch Fetzen am Leibe und war völlig ausgehungert. Die Einsamkeit und Entbehrung hatten ihn getötet. Tja, das war das Ende vom faulen Jack, dem Nassauer. Er war noch nicht einmal zwanzig geworden.«
    »Auf Terra«, sagte Gleed, »hängen wir die Leute nicht, nur weil sie faul sind.«
    »Das haben wir auch nicht getan«, meinte Seth. »Aber bei uns kann ein jeder Selbstmord verüben.« Er warf ihm einen kurzen Blick zu. »Sie brauchen sich keine unnötigen Sorgen zu machen«, fuhr er fort. »Solange ich lebe, mußten solche drastischen Maßnahmen nicht mehr ergriffen werden. Zumindest weiß ich nichts davon. Die Leute betrachten ihre Obs als wirtschaftliche Notwendigkeiten und nicht als Pflichten, die sie erfüllen müssen. Niemand gibt Befehle, keiner schubst einen anderen herum. Man muß aber wissen, wie das Leben auf diesem Planeten abläuft. Die Leute spielen

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