Titan 12
daß er bereit wäre, dieses schrecklich harte Leben um einer Zukunft willen auf sich zu nehmen, die Hunderte von Generationen von ihm entfernt sein muß.«
»Nein – so ist das nicht.« Sankov legte das linke Bein über das rechte Knie und zog es an sich heran. »Wie gesagt, die Marsianer sind den Erdenmenschen sehr ähnlich, und das bedeutet, daß sie ganz gewöhnliche Menschen sind. Und Menschen geben nicht viel auf Philosophie. Trotzdem, es ist etwas daran, in einer Welt zu leben, die noch am Entstehen ist, ob man nun viel darüber nachdenkt oder nicht.
Als ich zum Mars kam, schickte mein Vater mir häufig Briefe. Er war Buchhalter, und das blieb er auch sein ganzes Leben lang. Die Erde war bei seinem Tode nicht viel anders, als sie bei seiner Geburt gewesen war. Er sah nichts geschehen. Jeder Tag war wie jeder andere, und Leben bedeutete für ihn einfach, Zeit zu verbringen, bis er starb.
Auf dem Mars ist es anders. Jeder Tag bringt irgend etwas Neues – die Stadt ist wieder ein Stück gewachsen, das Ventilationssystem wird ausgebaut, die Wasserleitungen von den Polen werden verbessert. Im Augenblick sind wir daran, eine eigene Presseagentur zu eröffnen. Wir werden sie ›Mars Press‹ nennen. Wenn Sie nicht in einer Umgebung gelebt haben, in der sich dauernd etwas tut, werden Sie nie verstehen, wie herrlich man sich dabei fühlt.
Nein, Mr. Digby, der Mars ist hart und zäh, und die Erde ist viel angenehmer, aber mir scheint, wenn Sie unsere Jungens zur Erde bringen würden, dann wären die unglücklich. Wahrscheinlich würden die meisten nicht wissen, warum das so ist, aber sie würden sich verloren vorkommen; verloren und nutzlos. Mir scheint, die meisten von ihnen würden sich nie anpassen können.«
Digby wandte sich vom Fenster ab, und die glatte rosafarbene Haut auf seiner Stirn furchte sich. »In dem Fall, Herr Kommissar, tun Sie mir leid. Sie alle tun mir leid.«
»Warum?«
»Weil ich nicht glaube, daß Sie irgend etwas unternehmen können, Sie und Ihre Mitbürger. Und die Leute auf dem Mond und der Venus auch nicht. Es wird nicht jetzt geschehen; vielleicht auch in ein oder zwei Jahren nicht, nicht einmal in fünf Jahren. Aber über kurz oder lang werden Sie alle zur Erde zurückkehren müssen, es sei denn…«
Sankovs weiße Augenbrauen senkten sich über seine Augen. »Nun?«
»Es sei denn, Sie finden einen anderen Lieferanten für Ihr Wasser. Ich meine – außer dem Planeten Erde.«
Sankov schüttelte den Kopf. »Klingt nicht sehr wahrscheinlich, wie?«
»Nein, nicht sehr.«
»Und davon abgesehen – glauben Sie nicht, daß es eine Chance gibt?«
»Gar keine.«
Sprach’s und ging, und Sankov blickte ihm lange nach, genauer gesagt, blickte ins Leere, ehe er eine Nummer in sein Visiphon tastete.
Kurz darauf blickte Ted Long ihn vom Bildschirm an.
»Sie haben recht gehabt, Junge«, meinte Sankov. »Die können nichts machen. Selbst diejenigen, die es gut mit uns meinen, sehen keinen Ausweg. Woher wußten Sie das?«
Long atmete tief durch. »Herr Kommissar«, sagte er dann, »wenn Sie einmal die Berichte über die Krisenzeit gelesen haben, besonders über das zwanzigste Jahrhundert, dann überrascht Sie nichts mehr, was aus der Politik kommt.«
»Nun, mag sein. Jedenfalls, Junge, Digby bedauert uns, er bedauert uns sogar sehr, könnte man sagen, aber das ist alles. Er sagt, wir werden den Mars verlassen müssen – oder uns unser Wasser woanders holen. Nur hat er das Gefühl, daß wir sonst nirgends Wasser kriegen.«
»Sie wissen aber doch, daß das nicht stimmt, oder?«
»Ich weiß, was Sie mir gesagt haben, Junge. Es ist eine schrecklich riskante Geschichte.«
»Wenn ich genug Freiwillige finde, ist das Risiko ja unsere Sache.« »Wie stehen die Dinge denn?« »Nicht schlecht. Einige der Männer sind jetzt schon auf meiner Seite. Mario Rioz zum Beispiel, habe ich dazu bewegen können, und Sie wissen ganz genau, daß er einer der Besten ist.«
»Das ist es ja gerade – die Freiwilligen werden die Besten sein, die wir haben. Mir fällt es sehr schwer, meine Zustimmung zu geben.«
»Wenn wir zurückkommen, ist es das Risiko wert.«
»Wenn! Das ist ein großes Wort, Junge.«
»Wir versuchen da auch eine große Sache.«
»Nun, ich habe mein Wort gegeben, daß Sie von dem Wasserloch auf Phobos alles Wasser bekommen, das Sie brauchen, falls die Erde ablehnt. Viel Glück.«
6
Mario Rioz schwebte eine halbe Million Kilometer über dem Saturn im Nichts, und der Schlaf
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