Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Titan 13

Titan 13

Titel: Titan 13 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Bova , Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
in den Nachthimmel. Sie hatte vor dem Fenster Platz genommen, so daß ihr Profil ihm zugewandt war, und hatte die Arme über den hochgezogenen Knien verschränkt.
    »Als ich die erste Woche auf der Hochschule war«, sagte er zu ihr, »mußte ich eine Entscheidung treffen. Sind Sie hier in der Stadt auf die Grundschule gegangen?«
    »Ja.«
    »Ich habe die Grundschule in einem kleinen Dorf besucht. Sie war ganz gut ausgestattet – es gab vier Klassenzimmer für weniger als siebzig Schüler. Aber es gab nur drei Lehrer, den Direktor eingeschlossen, und jeder mußte drei Klassen übernehmen. Das bedeutete, daß mir meine Lehrer zwei Drittel eines jeden Tages nicht zur Verfügung standen. Als ich dann auf die Oberschule kam, hatte ich plötzlich einen Lehrer für jedes Fach.
    Gegen Ende der ersten Woche begegnete ich zufällig der Direktorin im Flur. Sie hatte meine Intelligenztests und alles mögliche andere gelesen und fragte mich, wie es mir auf der Oberschule gefiele. Ich sagte, es mache mir Spaß.«
    Hawks lächelte in sein Kognakglas. »Sie richtete sich gerade auf, und ihr Gesicht wurde zu Stein. ›Du bist nicht hier, um Spaß zu haben!‹ sagte sie und marschierte davon.
    Ich hatte also die Wahl – ich konnte von nun an meine Arbeit in der Schule als Strafe empfinden und Mittel und Wege suchen, um ihr auszuweichen; oder ich konnte so tun, als ob mir entsprechend zumute war, und den Vorteil nutzen, den man immer hat, wenn man anderen etwas vormacht. Ich hatte die Wahl zwischen Ehrlichkeit und Unehrlichkeit. Ich wählte die Unehrlichkeit. Ich wurde sehr finster und ging immer mit einer Tasche voll Büchern und Papieren in die Klasse. Ich stellte ernsthafte Fragen und brütete selbst in Fächern, die mich langweilten, über meinen Hausaufgaben. Ich wurde ein Musterschüler. Es dauerte nicht lange, bis es wirklich eine Strafe war. Aber ich hatte mich selbst bestraft und nahm damit die Folgen meiner Unehrlichkeit auf mich.«
    Er sah sich um. »Sie haben hier ein sehr hübsches Studio, Elizabeth. Ich bin sehr froh, daß ich es mir ansehen durfte. Ich wollte sehen, wo Sie arbeiten – was Sie tun.«
    »Bitte erzählen Sie mir weiter von sich«, sagte sie vom Fenster aus.
    »Nun, sehen Sie«, sagte er nach einer Weile, in der er einfach dagesessen war und sie lächelnd angesehen hatte, »daraus können Sie eigentlich eine ganze Menge über mich entnehmen. Man hatte mir auf einen Schlag so viele Dinge klargemacht. Ich war nachher nie wieder der gleiche. Ich war – nun, ich befand mich auf meinem Wege hierher.« Er lächelte verlegen.
    »Das passiert vielen von uns – ich meine, vielen von uns jungen Leuten, die einfach nicht darauf vorbereitet sind, im Lernen Arbeit oder auch nur einen Luxus zu sehen. Manche von uns reagieren an dem Tag, an dem wir plötzlich unseren Mitmenschen ins Herz sehen, so und manche anders. Ich tat das, was viele von uns tun – ich schloß mich ein und hielt mir die Welt fern. Ich hatte das Gefühl, daß die Wissenschaft – ein Ort, wo ich mich mit bekannten Größen beschäftigen konnte oder zumindest mit einer festen Disziplin, fern von Leuten, die alles mögliche in ihrem Inneren verbergen konnten –, mir schien, wie gesagt, daß die Wissenschaft der beste Ort für mich war.
    Und jetzt habe ich Arbeit, die von mir getan werden muß, weil ich sie mir vorgenommen habe. Ich kann jetzt weder umkehren und den Jungen verändern, aus dem ich aufwuchs, noch will ich das. Wie kann ich leugnen, was ich bin? Ich muß mit dem arbeiten, was ich bin. Ein Stück Kohlenstoff kann seine eigene Struktur nicht neu anordnen. Es ist entweder ein Diamant oder ein Stück Kohle – es weiß nicht einmal, was Kohle oder Diamanten sind. Jemand anderer muß das beurteilen.«
    Sie saßen einige Minuten lang da, ohne zu sprechen, Hawks mit dem leeren Kognakschwenker auf dem Tischchen neben seinen ausgestreckten Beinen und Elizabeth, die ihn über ihre hochgezogenen Knie hinweg beobachtete. »Woran denken Sie jetzt?« fragte sie, als er sich plötzlich bewegte und auf die Armbanduhr sah. »An Ihre Arbeit?«
    »Jetzt?« Er lächelte, ein Lächeln, das aus großer Ferne zu kommen schien. »Nein – ich habe an etwas anderes gedacht. Ich habe darüber nachgedacht, wie Röntgenfotografien gemacht werden.«
    »Was ist denn daran?«
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist kompliziert. Wenn ein Arzt einen kranken Menschen röntgt, bekommt er eine Aufnahme, die Flecken auf seiner Lunge zeigt oder Kalzium in seinen Arterien oder

Weitere Kostenlose Bücher