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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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zerfressenen Gesichtern angesprochen. Ob die Narben echt waren oder nur Make-up-Kitt, konnte ich nicht entscheiden. Eine dicke Frau streckte mir ein Baby mit Schwimmhäuten an Händen und Füßen entgegen. Ich sagte mir, daß das Kind auf jeden Fall verunstaltet zur Welt gekommen wäre, und daß sie nur unsere Angst vor durch die Bombe verursachten Mutationen ausschlachte. Trotzdem gab ich ihr eine Siebeneinhalb-Cent-Münze. Ihre Maske erweckte in mir das Gefühl, ich zollte Tribut an einen afrikanischen Fetisch.
    »Mögen all ihre Kinder mit einem Kopf und zwei Augen gesegnet sein, Sir.«
    »Danke«, sagte ich schaudernd und eilte weiter.
    »Ja, nur Dreck verbirgt die Maske, drum dreh dich um, halt dich dran, bleib den Mädchen, bleib den Mädchen, bleib den Mädchen fern!«
    Letzteres war der Refrain eines Anti-Sex-Songs, gesungen von einigen religiösen Eiferern, ein paar Häuser entfernt vom Kreis-undKreuz-Symbol eines Weiblichkeitstempels. Ganz entfernt fühlte ich mich an die kleine Schar britischer Mönche erinnert. Über ihren Köpfen befand sich ein Durcheinander von Plakaten, auf denen vorverdaute Speisen, Selbstverteidigungskurse, Taschenfunkgeräte und ähnliches angepriesen wurden.
    Mit einer Mischung aus Ekel und Faszination starrte ich auf die hysterischen Spruchbänder. Seit Gesicht und Gestalt der Frau in Amerika nicht mehr öffentlich abgebildet werden dürfen, wimmelt das Alphabet der Werbeleute nur so von Sex – das dickbäuchige, vollbrüstige große B, das wollüstige O. Es ist jedoch hauptsächlich die Maske, sagte ich mir, die dem Sex in Amerika einen so fremdartigen Akzent verleiht.
    Ein englischer Anthropologe hat darauf hingewiesen, daß, während es mehr als fünftausend Jahre gedauert hat, den Blickpunkt des sexuellen Interesses von den Hüften auf die Brüste zu verlagern, die nächste Verschiebung in einem Zeitraum von nur fünfzig Jahren erfolgte. Ein Vergleich der amerikanischen Mode mit der islamischen Tradition ist jedoch nicht zulässig; die islamischen Frauen müssen einen Schleier tragen, damit der Besitz des Ehemannes vor den Augen anderer Männer geschützt wird. Die amerikanischen Frauen dagegen tragen Masken, um sich einen geheimnisvollen Anstrich zu verleihen.
    Doch genug der Theorie; der aktuelle Trend geht im Grunde auf die Strahlenschutzbekleidung des Dritten Weltkrieges zurück, die zu maskierten Ringkämpfen führte, einer jetzt sehr beliebten Sportart, welche dann wiederum die neue Frauenmode nach sich zog. Obwohl sie zuerst als Modeextravaganz galten, wurden Masken bald ebenso unentbehrlich, wie Büstenhalter und Lippenstifte im ersten Teil des Jahrhunderts gewesen waren.
    Schließlich wurde mir klar, daß ich nicht über das Phänomen Maske im allgemeinen, sondern über das nachgrübelte, was sich hinter einer im besonderen verbarg. Das ist ja das Vertrackte an der Sache: Wie soll man wissen, ob das Mädchen nun Schönheit betont oder Häßlichkeit verbirgt? Ich stellte mir ein ruhiges hübsches Gesicht vor, in dem nur die weitgeöffneten Augen die Angst verrieten. Dann erinnerte ich mich an ihr blondes Haar, das sich leuchtend von dem schwarzen Samt ihrer Maske abgehoben hatte. Sie hatte mich auf die zweiundzwanzigste Stunde – zehn Uhr abends – bestellt.
    Mühsam stieg ich zu meinem Apartment in der Nähe des Britischen Konsulats hinauf; der Fahrstuhlschacht war damals bei einer Detonation aus dem Lot geraten – wirklich unangenehm in diesen hohen New Yorker Gebäuden. Bevor ich daran dachte, daß ich noch einmal ausgehen würde, riß ich automatisch einen Abschnitt von dem Filmstreifen unter meinem Hemd ab. Zur Sicherheit entwickelte ich ihn rasch. Es ergab sich, daß die Gesamtstrahlung, die ich an diesem Tag aufgenommen hatte, unter dem zulässigen Höchstwert lag. Ich bin zwar nicht ernsthaft ängstlich in dieser Hinsicht, wie so viele Leute heutzutage, aber es lohnt sich nicht, irgendwelche Risiken einzugehen.
    Ich ließ mich aufs Bett fallen und starrte auf den schweigenden Lautsprecher und die dunkle Mattscheibe des Videosets. Wie immer erinnerten sie mich irgendwie schmerzlich an die beiden Großmächte der Erde. Sie hatten sich zwar gegenseitig verstümmelt, doch waren sie noch immer stark – zwei verkrüppelte Riesen, die den Planeten mit ihren Träumen von einer unmöglichen Gleichheit, beziehungsweise einem ebenso unmöglichen erfolgreichen Ausgang vergifteten.
    Verdrießlich schaltete ich den Lautsprecher ein. Glücklicherweise erzählte der

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