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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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Nachrichtensprecher gerade aufgeregt von den Aussichten auf eine Rekordweizenernte, die man in einem Dürregebiet mit Flugzeugen ausgesät hatte, wobei man das Saatgut mit Wasser mischte. Aufmerksam hörte ich mir auch den Rest der Sendung an (sie war bemerkenswert frei von russischen Störsendern), doch die anderen Nachrichten interessierten mich nicht. Und natürlich kein Wort über den Mond, wo doch jeder weiß, wie Amerika und Rußland um die Wette bestrebt sind, ihre Primärstützpunkte in Festungen umzubauen, von denen gegenseitige Angriffe und das Abschießen von ABC-Bomben zur Erde möglich sind. Ich für mein Teil war wohl informiert darüber, daß die elektronischen Geräte aus Großbritannien, deren Verkauf gegen amerikanischen Weizen mir übertragen worden war, eigentlich für den Einsatz in Raumschiffen bestimmt waren.
    Ich schaltete die Nachrichten aus. Es wurde allmählich dunkel, und erneut stellte ich mir ein zartes, ängstliches Gesicht hinter einer Maske vor. Seit ich England verlassen hatte, war ich mit keinem Mädchen mehr ausgegangen. In Amerika ist es überaus schwierig, Mädchen kennenzulernen; bei einer Kleinigkeit wie einem Lächeln kann ein Mädchen nach der Polizei zu schreien beginnen, ganz zu schweigen von der zunehmend puritanischen Moral und den umherstreifenden Banden, wegen denen die meisten Frauen sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr außer Haus trauen. Und natürlich wegen der Masken, die jedoch nicht, wie die Russen behaupten, die neueste Erfindung der kapitalistischen Degeneriertheit sind, sondern ein Zeichen großer psychischer Unsicherheit. Die Russen tragen zwar keine Masken, doch haben sie ihre eigenen Streßsymptome.
    Ich trat zum Fenster und verfolgte ungeduldig, wie es zunehmend dunkler wurde. Langsam wurde ich richtiggehend unruhig. Nach einer Weile erschien im Süden eine gespenstische violette Wolke. Mir sträubten sich die Haare. Dann lachte ich. Einen Augenblick lang hatte ich sie für Strahlung aus dem Krater der Höllenbombe gehalten, obwohl ich sofort hätte wissen sollen, daß das Leuchten nur von der Strahlung über dem Vergnügungsviertel und Wohngebiet südlich von Inferno kam.
    Pünktlich um zweiundzwanzig Uhr stand ich vor der Wohnungstür meiner unbekannten Freundin. Der elektronische Pförtner verlangte meinen Namen zu wissen. Deutlich sagte ich: »Wysten Turner« und fragte mich, ob sie wohl dem Apparat meinen Namen eingegeben habe. Offensichtlich hatte sie das, denn die Tür ging auf. Mit leicht klopfendem Herzen trat ich in ein kleines Wohnzimmer. Niemand war da. Der Raum war aufwendig mit den neuesten Pneumokissen und Komfortsitzen ausgestattet. Auf dem Tisch lagen ein paar Schmöker herum. Derjenige, den ich zufällig aufgriff, war einer der üblichen knallharten Krimis, in denen zwei Mörderinnen hintereinander her sind.
    Der Fernseher lief. Ein maskiertes Mädchen in Grün sang gerade ein schmalziges Liebeslied. In der rechten Hand hielt sie etwas, das im Vordergrund des Bildes verschwamm. Ich bemerkte, daß das Gerät einen ›Handschuh‹ besaß, eine Einrichtung, die wir in Großbritannien noch nicht haben. Neugierig schob ich meine Hand in die Öffnung neben dem Bildschirm. Wider Erwarten fühlte es sich gar nicht so an, als schlüpfe man in einen pulsierenden Gummihandschuh, sondern eher, als hielte das Mädchen auf dem Bildschirm tatsächlich meine Hand.
    Hinter mir öffnete sich eine Tür. Ich zog meine Hand so schuldbewußt zurück, als hätte man mich beim Schlüssellochgucken ertappt.
    Sie stand in der Schlafzimmertür. Ich glaube, sie zitterte. Sie trug einen weißgefleckten, grauen Pelzmantel und eine graue, samtene Abendmaske mit ebenfalls grauer gekräuselter Spitze um Mund und Augen. Ihre Fingernägel funkelten wie Silber.
    Es war mir nicht in den Sinn gekommen, sie könnte erwarten, daß wir ausgehen.
    »Ich hätte ihnen das sagen sollen«, sagte sie leise. Ihre Maske wandte sich nervös den Büchern, der Mattscheibe und den dunklen Ecken des Zimmers zu. »Aber hier kann ich unmöglich mit Ihnen reden.«
    Unsicher meinte ich: »Neben dem Konsulat ist ein Lokal…«
    »Ich weiß, wo wir hingehen und miteinander reden können«, unterbrach sie mich rasch. »Falls Sie nichts dagegen haben.«
    Als wir den Fahrstuhl betraten sagte ich: »Ich fürchte, ich habe das Taxi nicht warten lassen.«
    Aber aus irgendeinem Grund war der Taxifahrer nicht weggefahren. Er sprang aus dem Wagen und hielt uns blöde grinsend die Vordertür auf.

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