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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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ermittelten sie mit äußerster Präzision, wie lange das blasse Mädchen neben ihm noch zu leben hatte. Dann würden fünf kleine Metallstifte auf ein Tintenband hämmern, und ein zweiter Stahlschlund würde den Papierstreifen, der die Antwort enthielt, ausspeien.
    Der Chronometer auf der Instrumententafel zeigte auf 18:10, als sich der Kommandant wieder meldete.
    »Um 19.10 nehmen Sie den Bremsvorgang wieder auf.«
    Sie blickte auf den Chronometer und schaute schnell wieder weg. »Dann… dann muß ich raus?« fragte sie. Er nickte, und sie starrte wieder vor sich ins Leere.
    »Ich lasse Ihnen die Kurskorrekturen gleich durchsagen«, fuhr der Kommandant fort. »Unter normalen Umständen würde ich so etwas nie zulassen, aber ich verstehe Ihre außergewöhnliche Lage. Außer dem, was ich bereits geta’n habe, kann ich nichts für Sie tun, und Sie werden sich strikt an diese neuen Anweisungen halten. Wir erwarten Ihren abschließenden Bericht um 19.10. Also – hier sind die Kurskorrekturen.«
    Die Stimme eines namenlosen Technikers übermittelte ihm die Daten, und er notierte sie auf dem Block, der an der Kante der Kontrolltafel hing. Wie er sah, würde der Bremsfaktor bei der Annäherung an die Atmosphäre zeitweise fünffache Erdbeschleunigung betragen. Bei fünffacher Erdbeschleunigung wurden 50 kg zu 250 kg.
    Der Techniker gab die restlichen Angaben durch, und er beendete den Funkkontakt mit einem knappen Dankeswort. Dann schaltete er nach kurzem Zögern den Lautsprecher aus. Es war jetzt 18.13, und bis 19.10 würde es nichts durchzusagen geben. Dagegen erschien es ihm wenig taktvoll, andere mithören zu lassen, was sie in ihrer letzten Stunde zu sagen hatte.
    Mit übertriebener Sorgfalt begann er die Anzeigen der Instrumente zu prüfen. Sie würde sich mit ihrer Lage abfinden müssen, und er konnte nichts tun, um ihr dabei zu helfen. Worte des Mitgefühls konnten den Prozeß nur verzögern.
    Es war 18.20, als sie aus ihrer Erstarrung erwachte und zu sprechen begann.
    »Also, so ist das.«
    Er wandte sich um und sah sie an. »Nicht wahr, jetzt verstehen Sie? Niemand würde es je zulassen, könnte man es nur verhindern.«
    »Ja, ich verstehe«, antwortete sie. Ihr Gesicht hatte wieder etwas Farbe gewonnen, und der Lippenstift hob sich nicht mehr so grell rot ab. »Wenn ich bleibe, reicht der Treibstoff nicht. Als ich mich hier im Schiff versteckt habe, ließ ich mich auf etwas ein, wovon ich keine Ahnung hatte. Dafür bezahle ich jetzt.«
    Sie hatte ein von Menschen erstelltes Gebot verletzt, das da hieß: ZUTRITT VERBOTEN; die Strafe jedoch war weder Werk noch Wille des Menschen, und es war ein Urteil, gegen das es keinen Einspruch gab. Ein Naturgesetz hatte festgesetzt: die Menge H an Treibstoff bringt ein NHS von der Masse M sicher ans Ziel; und ein zweites Naturgesetz hatte bestimmt: die Menge H an Treibstoff bringt ein NHS von der Masse M plus X nicht sicher ans Ziel.
    Die NHS gehorchten allein den Naturgesetzen, und kein noch so großes Mitleid für das Mädchen konnte das zweite Gesetz beeinflussen.
    »Aber ich habe Angst. Ich will nicht sterben – noch nicht jetzt. Ich will leben, und niemand tut etwas, um mir zu helfen. Alle lassen mich meinen Weg gehen und tun so, als ob mir gar nichts passieren würde. Ich muß sterben, und niemand interessiert sich auch nur dafür.«
    »Doch, wir alle«, widersprach er. »Ich und der Kommandant und der Mann in der Rechenzentrale. Wir alle bedauern Sie, und jeder von uns hat das wenige getan, das er tun konnte für Sie. Es war leider nicht genug – es war fast nichts –, und doch war es alles, was wir tun konnten.«
    »Nicht genug Treibstoff, das verstehe ich ja«, sagte sie, so, als hätte sie seine Worte nicht vernommen. »Aber deswegen sterben zu müssen. Ich allein…«
    Wie schwer es ihr fallen mußte, diese Tatsache zu akzeptieren. Noch nie hatte sie in Todesgefahr geschwebt, nie eine Umwelt erlebt, in der Menschenleben so zerbrechlich und vergänglich waren, wie die Gischt des Meeres. Sie gehörte auf die gastliche Erde, in jene gesicherte und friedliche Gesellschaft, in der sie mit ihresgleichen jung und fröhlich und ausgelassen sein konnte; in der das Leben wertvoll und wohlbehütet war und wo stets die Gewißheit bestand, daß das Leben morgen weiterging. Da gehörte sie hin, in diese Welt mit weichen Winden und warmer Sonne, Musik und Mondenschein und freundlichen Menschen – und nicht in den öden, unerbittlichen Grenzraum. »Wie konnte das alles so

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