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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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Entscheidung lag nicht bei ihm. Für beide würden die letzten Worte unschätzbar und unvergeßlich sein, etwas, das schneidend schmerzen würde und in der Erinnerung doch unendlich kostbar wäre – für sie während der letzten wenigen Augenblicke ihres Lebens, für ihn sein ganzes Leben lang.
    Er drückte den Knopf, der die Gitterlinien auf den Bildschirm projizierte, und bediente sich des bekannten Planetendurchmessers, um abzuschätzen, wie die Südspitze des Lotus Lake noch wandern mußte, bevor sie in den Funkschatten geriet. Die Entfernung betrug etwa achthundert Kilometer. Achthundert Kilometer – dreißig Minuten. Der Chronometer zeigte jetzt auf 18.30. Wenn er einen Spielraum für etwaige Rechenfehler mit einbezog, konnte es spätestens 19.05 sein, wenn die Umdrehung von Woden die Stimme ihres Bruders abschnitt.
    Entlang der linken Seite des Planeten war bereits der Saum des West-Kontinents zu erkennen. Sechstausend Kilometer landeinwärts lagen die Küste des Westmeers und das Lager von Gruppe Eins. Im Westmeer war der Tornado entstanden, der mit verheerender Gewalt das Lager heimgesucht und die Hälfte der Fertighäuser zerstört hatte, einschließlich desjenigen, in dem die Arzneimittelvorräte untergebracht gewesen waren. Vor zwei Tagen noch hatte es keinen Tornado gegeben, nichts als große weiche Luftmassen über dem ruhig daliegenden Westmeer. Die Gruppe Eins war wie gewohnt ihren Vermessungsarbeiten nachgegangen, ohne von der Zusammenballung der Luftmassen draußen auf dem Meer zu ahnen, ohne zu ahnen, welche Gewalt dieser Vereinigung entspringen würde. Ohne Vorwarnung hatte der Wirbelsturm ihr Lager getroffen – donnernde, tosende Vernichtungskraft, die alles, was ihr im Wege lag, niederwalzte. Er war weitergerast und hatte eine Spur von Trümmern hinterlassen. Die Frucht monatelanger Arbeit war zerstört und sechs Menschen dem Tode ausgeliefert. Dann, als hätte der Sturm seine Aufgabe erfüllt, begann er sich allmählich wieder in weiche Luftmassen aufzulösen. Bei all seiner todbringenden Gewalt hatte der Tornado sein Werk der Zerstörung weder böswillig noch vorsätzlich vollbracht. Er war nur eine jener blinden, unbeseelten Kräfte, die allein den Naturgesetzen gehorchen, und hätten auch nie Menschen existiert, er hätte doch mit derselben Gewalt denselben Weg genommen.
    Leben setzte Ordnung voraus, und diese war vorhanden, verkörpert in den unwiderruflichen und unabänderlichen Naturgesetzen. Der Mensch konnte zwar lernen, sie zu beherrschen, doch ändern konnte er sie nicht. Der Kreisumfang ist immer pi mal dem Durchmesser, und keine menschliche Wissenschaft kann daran rütteln. Bringt man den Stoff A mit dem Stoff B unter den Bedingungen C zusammen, so hat dies unweigerlich die Reaktion D zur Folge. Das Gravitationsgesetz ist eine allgemein gültige Gleichung und macht keinen Unterschied zwischen dem Herabschweben eines Blattes und dem behäbigen Kreisen eines mächtigen Doppelsternsystems. Der Prozeß der Kernumwandlung liefert die Energie, die die Menschen zu den Sternen bringt. Derselbe Vorgang in Form einer Nova würde mit gleicher Zuverlässigkeit eine ganze Welt zerstören. Die Gesetze gelten, und alle Bewegung im Universum gehorcht ihnen. In der Weite des Grenzraums herrschten die Gesetze der Natur, und bisweilen fielen ihnen jene zum Opfer, die außerhalb der Erde zu leben versuchten. Vor langem schon hatten die Menschen des Grenzraums erkannt, wie nutzlos es war, die sie zerstörenden Kräfte zu hassen, denn diese Kräfte waren blind und taub; sie hatten erkannt, wie nutzlos es war, gnadeflehend gen Himmel zu blicken, denn unbeirrbar ziehen die Sterne auf ihrer Bahn dahin – zweihunderttausend Jahre brauchen sie, um die Galaxis zu umrunden, wie die Menschen, so sind auch sie den unerbittlichen Gesetzen unterworfen, die weder Haß noch Mitgefühl kennen.
    Die Menschen vom Grenzraum wußten das, doch wie sollte ein Mädchen von der Erde das wirklich begreifen? Die Menge H an Treibstoff befördert ein NHS von der Masse M plus X nicht sicher ans Ziel. Für ihn, ihren Bruder und ihre Eltern war sie ein hübscher Teenager. Für die Naturgesetze war sie der Faktor X in einer unerbittlichen Gleichung.
    Sie wurde unruhig auf ihrem Platz. »Kann ich wohl einen Brief schreiben? Ich will an meine Eltern schreiben und möchte mit Gerry sprechen. Würden Sie mich über das Funkgerät mit ihm sprechen lassen?«
    »Ich will versuchen, ob ich ihn erreiche«, sagte er.
    Er schaltete auf

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