Titan 15
Bordcomputer. Geben Sie uns alle Daten auf der Ausweiskarte der betreffenden Person.«
Er erhob sich von seinem Stuhl und beugte sich über sie. Krampfhaft hielten ihre Hände die Kante des Sitzes umklammert, das emporgewandte Gesicht war weiß unter dem braunen Haar, der Lippenstift hob sich blutrot ab.
»Jetzt?«
»Ich brauche Ihre Ausweiskarte«, sagte er.
Sie löste ihre Hände von der Kante und fingerte zitternd und ungeschickt an der Kette herum, an der sie die Plastikkarte um den Hals trug. Er kam ihr zu Hilfe und löste den Verschluß für sie. Dann kehrte er mit der Karte an seinen Platz zurück.
»Hier sind die Daten: Kennummer T837…«
»Einen Augenblick«, unterbrach ihn der Computer. »Diese Daten gehören doch auf die graue Karte?«
»Ja.«
»Und der Zeitpunkt der Exekution?«
»Gebe ich später bekannt.«
»Später? Das ist aber ungewöhnlich. Der Todeszeitpunkt ist vor…«
Angestrengt bemühte er sich, seine Stimme normal klingen zu lassen. »Dann werden wir eben auf ungewöhnliche Weise vorgehen. – Hören Sie also zuerst die Daten auf der Karte. Die betroffene Person ist ein Mädchen und hört alles, was hier gesagt wird. Sind Sie in der Lage, das zu verstehen?«
Es folgte ein kurzes, fast betroffenes Schweigen, dann sagte die Computerstimme weich: »Es tut mir leid. Machen Sie bitte weiter.«
Er begann die Karte vorzulesen, wobei er absichtlich langsam sprach, um das Unvermeidliche so lang als möglich hinauszuschieben; er wollte ihr helfen, indem er ihr möglichst viel Zeit gab, sich von ihrem ersten Entsetzen zu erholen und sich in das Unvermeidliche zu fügen.
»Nummer T8374 Komma Y54. Name: Marilyn Lee Cross. Geschlecht: weiblich. Geboren am: 7. Juli 2160. Erst achtzehn war sie. Größe: 160 cm. Körpergewicht: 50 kg. So leicht, und doch schwer genug, um das Gewicht der hauchdünnen Seifenblase des NHS in verhängnisvoller Weise zu erhöhen. Haarfarbe: Braun. Augenfarbe: Blau. Hauttyp: Hell. Blutgruppe: Null. Unwesentliche Daten. Zielort: Port City, Mimir. Ungültige Angabe…«
Er las zu Ende und fügte hinzu: »Ich setze mich später wieder mit Ihnen in Verbindung.« Dann wandte er sich dem Mädchen zu. Sie saß an die Wand gekauert und beobachtete ihn mit einer Mischung aus Betäubung und Faszination.
»Die warten jetzt, daß Sie mich töten, stimmt’s? Die wollen, daß ich sterbe, so ist es doch? Sie und alle auf dem Kreuzer wollen doch nur, daß ich sterbe, geben Sie’s zu!« Da verschwand die Betäubung, und ihre Stimme glich der eines verängstigten und verstörten Kindes. »Alle wollen, daß ich sterbe, und ich habe doch gar nichts getan, ich habe niemandem etwas getan… ich wollte ja nur meinen Bruder besuchen.«
»Es ist nicht so, wie Sie meinen – nein, so ist es ganz und gar nicht«, sagte er. »Niemand hat es so gewollt und niemand würde es je zulassen, wenn es in menschlicher Macht läge, es zu verhindern.«
»Ja, aber warum dann! Ich verstehe das nicht. Warum muß das sein?«
»Dies Schiff bringt Kala -Serum zur Gruppe Eins auf Woden. Ihre eigenen Vorräte sind bei einem Wirbelsturm zerstört worden. Die Gruppe Zwei, die, der auch Ihr Bruder angehört, befindet sich 12000 Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Westmeers, das sie nicht mit dem Helikopter überqueren kann, um der Gruppe Eins zu Hilfe zu kommen. Das Fieber ist hundertprozentig tödlich, es sei denn, es ist rechtzeitig Serum verfügbar. Die sechs Männer der Gruppe werden sterben, wenn dies Schiff nicht planmäßig bei ihnen ankommt. Diese kleinen Schiffe haben immer nur gerade genug Treibstoff an Bord, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn Sie aber hier bleiben, dann bewirkt Ihr zusätzliches Gewicht, daß der Treibstoff noch vor der Landung restlos aufgebraucht ist. Dann stürzt es ab, und Sie und ich sterben, und ebenso die sechs Männer, die auf das Fieberserum warten.«
Es dauert eine volle Minute, bevor sie etwas sagte, und während sie über seine Worte nachdachte, schwand der Ausdruck der Benommenheit aus ihren Augen.
»So ist das also?« meinte sie schließlich. »Nur, weil das Schiff nicht genügend Treibstoff hat?«
»Ja.« »Entweder, ich sterbe allein, oder ich nehme sieben andere mit mir –
ist es so?«
»So ist es.«
»Und niemand will, daß ich sterbe?«
»Niemand.«
»Dann könnte vielleicht… Sind Sie sicher, daß man gar nichts tun kann? Würden die Leute mir denn nicht helfen, wenn sie könnten?«
»Jeder würde Ihnen gerne helfen, aber da kann leider niemand
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