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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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Normalraum-Transceiver und drückte den Signalknopf. Fast augenblicklich kam die Antwort.
    »Hallo, wie geht es inzwischen? Ist das NHS schon unterwegs?«
    »Hier ist nicht Gruppe Eins. Hier NHS«, antwortete er. »Ist Gerry Cross da?«
    »Gerry? Er ist heute morgen mit zwei anderen im Helikopter weggeflogen und noch nicht zurück. Die Sonne geht aber gleich unter, und er müßte jeden Augenblick zurück sein – spätestens in einer Stunde.«
    »Können Sie eine Funkverbindung mit dem Helikopter herstellen?«
    »Äh-m… die ist seit zwei Monaten außer Betrieb. Da sind irgendwelche gedruckten Schaltungen kaputt und bis der nächste Kreuzer kommt, gibt es keinen Ersatz. Ist es etwas Wichtiges, eine schlechte Nachricht?«
    »Ja, es ist sehr wichtig. Sobald er da ist, soll er so schnell wie möglich zum Sender kommen.«
    »Wird gemacht. Ich lasse einen der Leute mit dem Lastwagen am Landefeld warten. Kann ich sonst noch irgend etwas tun?«
    »Nein, das wär’s. Holen Sie ihn so schnell wie möglich und geben Sie mir Bescheid.«
    Er drehte die Lautstärke ganz herunter, was die Funktion des Rufsignals jedoch nicht beeinträchtigte, und nahm den Notizblock von der Kontrolltafel herunter. Das Blatt mit den Fluganweisungen riß er ab und reichte ihr den Block und einen Bleistift.
    »Am besten, ich schreibe auch gleich an Gerry«, meinte sie und nahm das Schreibzeug entgegen. »Vielleicht kommt er nicht mehr rechtzeitig ins Lager.«
    Mit anfangs noch steifen Fingern begann sie zu schreiben. Sie handhabte den Stift ungeschickt, seine Spitze zitterte in den Pausen zwischen den Worten. Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu, den er anstarrte, ohne etwas wahrzunehmen.
    Sie war ein kleines verlassenes Mädchen, das nach den richtigen Worten suchte, um sich für immer von ihren Lieben zu verabschieden. Sie würde ihr ganzes Herz vor ihnen ausbreiten, ihnen versichern, wie lieb sie sie hatte, und sie auffordern, nicht traurig zu sein, weil es nur etwas war, das schließlich mit jedem geschah, und sagen, daß sie keine Angst hätte. Letzteres war eine Lüge, und das würde zwischen den unregelmäßigen, schiefen Zeilen zu lesen sein. Eine tapfere kleine Lüge, die den Schmerz für ihre Angehörigen nur vergrößern mußte.
    Ihr Bruder war einer vom Grenzraum, und er würde es verstehen. Er würde den NHS-Piloten nicht dafür hassen, daß er nichts unternommen hatte, um sie zu retten. Denn er würde wissen, daß der Pilot nichts hatte tun können. Verstehen würde er es, obwohl diese Einsicht den Schock und den Schmerz über den plötzlichen Tod seiner Schwester nicht dämpfen würden. Die anderen jedoch, die Eltern, sie würden es nicht verstehen. Sie waren von der Erde und dachten in den Kategorien derer, die niemals dort gelebt haben, wo der Lebensspielraum eine unvorstellbar dünne Linie, ja, bisweilen überhaupt nicht vorhanden ist. Was würden sie von dem gesichtslosen, unbekannten Piloten denken, der ihre Tochter in den Tod geschickt hatte?
    Ihr Haß auf ihn würde kalt und unversöhnlich sein, doch eigentlich kam es darauf nicht an. Denn er würde ihnen nie unter die Augen treten müssen, niemals wissen, wer sie waren. Nichts würde bleiben, als die Erinnerung; nichts, als die Angst vor den Nächten, in denen ein blauäugiges kleines Mädchen in veganischen Zigeunersandaletten ihn im Traum aufsuchen würde, um immer wieder zu sterben.
    Finster starrte er auf den Bildschirm und bemühte sich, seine Gedanken in weniger emotionale Bahnen zu lenken. Er konnte ihr einfach nicht helfen. Unwissentlich hatte sie sich der Strafe eines Gesetzes unterworfen, das weder Unschuld noch Jugend, noch Schönheit gelten ließ, das unfähig war zu Mitgefühl und Nachsicht.
    Bedauern war eine unlogische Regung und doch, konnte das Bewußtsein, daß dem so war, dies Gefühl verhindern?
    Gelegentlich machte sie Pausen, als suchte sie nach den rechten Worten für das, was sie ihnen mitteilen wollte, dann nahm der Stift wieder sein leises Kratzen über das Papier auf. Es war 18.37, als sie den Brief zusammenfaltete und einen Namen daraufsetzte. Bevor sie sich daranmachte, einen zweiten zu schreiben, schaute sie wiederholt zu dem Chronometer auf, als ob sie fürchtete, der schwarze Zeiger könnte den festgesetzten Punkt erreichen, bevor sie geendet hätte. Als sie auch diesen wie den ersten Brief quadratisch faltete und ihn mit Namen und Anschrift versah, war es 18.45.
    Sie reichte ihm die beiden Briefe. »Würden Sie die bitte aufbewahren und

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