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Titan 17

Titan 17

Titel: Titan 17 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn , Wolfgang Jeschke
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noch beansprucht hatte, hatte es sich auf über achtzig, dann auf einhundertundzwanzig, auf zweihundert, auf fünfhundert, dann auf über eintausend ausgedehnt. Und diese weitläufige Expansion hatte sich innerhalb weniger Wochen vollzogen! Keine Armee der Geschichtsschreibung hatte je ein Territorium so vollständig und unbestreitbar unterworfen. Von seinem ersten Brückenkopf breitete es sich landeinwärts aus, zog über bebaute und brachliegende Felder hinweg und überwucherte Obstgärten und Weinberge mit der Leichtigkeit, mit der Bäume Gras verdrängen. Selbst Häuser und Dörfer waren seinem Angriff schutzlos ausgeliefert; sie verschwanden so plötzlich, als wären sie bloße Spiegelbilder gewesen; die durchsichtigen roten Schößlinge brachen sich ihren Weg durch Holz und Ziegelsteine, umklammerten alles mit zermalmenden Griff und zerrieben es zu Trümmern; und nachdem die Vortrupps erst einmal eingetroffen waren, blieb nach ein paar Tagen nur noch ein gewaltiges rötliches Gewirr zurück, aus dem sich hier und da eine dunkelrote, kopfförmige Masse, wie das unergründliche Gesicht eines Wächters, beobachtend und bedrohlich hervorschob.
    Zu allem Überfluß beschränkte sich diese Verwüstung nicht auf ein einziges Gebiet. War es schon schlimm genug, dem Eindringling einen großen Teil der fruchtbaren kalifornischen Küste zum Opfer fallen zu sehen, so war es noch unvergleichlich schlimmer, ein Dutzend, zwanzig, fünfzig Flecke Erde von der Pflanze überwuchert vorzufinden. Zuerst war es rätselhaft, wie dieser Schrecken sich in weit verstreut liegende Gebiete hatte ausbreiten können, aber die Erklärung ließ nicht lange auf sich warten. Wie Sherman Krass herausfand, bildeten die Pflanzen bereits neue Keime; und diese winzigen schwarzen Partikel, genau von der Art, wie er sie bereits untersucht hatte, waren mit kleinen daunenähnlichen Schwingen versehen, vergleichbar dem Löwenzahn-Samen, aber wesentlich leichter, so daß sie vom Wind noch weiter getragen werden konnten. Wie die Tatsachen unbestreitbar erwiesen, waren sie fünfzig, einhundert, in manchen Fällen sogar zweihundert Meilen von ihrem Ursprungsort niedergegangen; und so hatte die Gaspflanze in weit entfernten Regionen, etwa in den Orangenhainen von Riverside oder den Feigenwäldern und Weingärten von Fresno County ihre Ranken erhoben und einige der ertragreichsten landwirtschaftlichen Kulturen des Staates vernichtet – und sie breitete sich immer weiter aus, in tödlicher Stille und Bösartigkeit.
    Nach gut sechs Monaten wurde die Pflanze nicht mehr unter dem Gesichtspunkt einer bloßen lokalen Bedrohung betrachtet, sondern als weltweite Gefahr. Auf nie ganz geklärte Art und Weise – entweder durch die zufällige Verschleppung des Samens durch Reisende, oder durch willentliche Verpflanzung als militärische Aggression – faßte die Gaspflanze auch in Europa Fuß, dann in Asien, Afrika, Australien. Über kurz oder lang gab es keinen Teil der Erde mehr, ob zivilisiert oder unzivilisiert, der nicht ihre verderbliche Präsenz erfuhr. Sie erwies sich als fähig, in jedem Klima und jedem silikathaltigen Erdboden zu existieren; sie begann die kahlen Gebirgszüge von Südkalifornien und Arizona zu erklettern, anscheinend völlig unabhängig von jedweden Wasservorkommen, und wurde sogar in den Salzwüsten um den Großen Salzsee gesichtet und zwischen den Dünen der Sahara; sie gedieh an den Hängen steiniger Gebirge, indem sie ihre Wurzeln tief hinab in Quarz- und Feuerstein ausschickte; sie beanspruchte lößhaltige Flußtäler und erhob ihre Köpfe in der Tundra von Labrador, als wäre sie dort schon immer heimisch gewesen.
    So langsam die Welt auch das gesamte Ausmaß der Bedrohung erkannte, brachte die zweite Jahreshälfte jedoch Warnzeichen mit sich, denen man sich nicht entziehen konnte. Denn es gibt einige Zwänge, die stärker als Worte sprechen und denen sich niemand widersetzen kann; und einer dieser Zwänge war eine Hungersnot, die langsam aber sicher im Kielwasser des rötlichen Invasoren folgte. Die Nahrungsvorräte der Welt, die ohnehin schon vom furchtbarsten Krieg der Geschichte erschöpft waren, hätten sowieso nicht mehr lange vorgehalten, und der Abfluß durch die neuerlichen Verwüstungen erwies sich als so schwerwiegend wie ein Sack Blei auf dem Rücken eines ausgepumpten Kohlenschleppers. Der Hungertod, der sich schon lange herabzusenken drohte, streckte plötzlich seine Knochenhand über alle Regionen aus; Weizen und

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