Titan 19
schreiben, wie sie nach den höflichen kleinen Märchen suchten, nach der leicht gefärbten Lüge, nach dem Balsam, der ihren Stolz laben konnte. Wie sie nach den Worten suchten, die nicht die ganze Wahrheit verrieten.
Meine Stelle besteht dann, daß ich eine bestimmte Familie unterhalten und amüsieren muß. Ich erzähle ihnen Geschichten, und darüber lachen sie. Ich tue das, weil ich nicht zugeben will, daß die Fabel von Kimon eine Fallgrube ist, und daß ich hineingefallen bin…
Nein, es ging nicht, so zu schreiben.
Noch konnte er schreiben:
Ich bleibe trotzdem hier. Solange ich hundert pro Tag verdiene, können sie lachen, soviel sie wollen. Ich bleibe hier und mache Kasse, gleichgültig…
Aber zu Hause war er einer von den tausend. Zu Hause sprachen sie nur im Flüsterton von ihm, weil er es geschafft hatte.
Und die Geschäftsleute an Bord des Raumschiffes sagten: »Der Mann, der die Lösung für diese Kimonsituation bringt, hat für den Rest seines Lebens ausgesorgt«, und redeten von Milliarden, wenn er jemals jemanden brauchen sollte, der ihn finanzierte.
Er erinnerte sich an Morley, wie der im Zimmer auf und ab gegangen war. Den Fuß in der Tür hatte er gesagt: »Irgendeine Möglichkeit, um sie zu knacken. Eine Möglichkeit, um sie zu begreifen. Irgendeine Kleinigkeit – nichts Großes, sondern irgendeine winzige Kleinigkeit. Irgend etwas, bloß nicht dieses ausdruckslose Gesicht, das Kimon uns zuwendet.«
Irgendwie mußte er den Brief zu Ende bringen. Er konnte ihn nicht einfach halbfertig lassen, er mußte ihn schreiben.
Er wandte sich wieder dem Schreiber zu.
Ich schreibe Ihnen später ausführlicher. Im Augenblick habe ich es eilig.
Er sah den Brief mit gerunzelter Stirn an.
Aber was auch immer er schrieb, es würde falsch sein. Dies war auch nicht schlimmer als ein Dutzend andere Dinge, die er schreiben könnte.
Ich muß eilig zu einer Konferenz.
Ich habe eine Verabredung mit einem Kunden. Ich muß mir ein paar Papiere ansehen.
Und alles war Lüge. Was sollte er denn tun? Und dann schrieb er:
Ich denke oft an Sie. Schreiben Sie mir, wenn Sie einmal Zeit haben.
Morley würde ihm schreiben. Einen begeisterten Brief, einen Brief mit einer leichten Spur von Neid, den Brief eines Mannes, der auf Kimon sein möchte, es aber nicht konnte.
Weil jeder nach Kimon gehen wollte. Das war das Schlimme daran. Man konnte nicht die Wahrheit sagen, wenn jeder ein paar Jahre seines Lebens darum gegeben hätte, hingehen zu dürfen. Man konnte nicht die Wahrheit sagen, wenn man ein Held war, und die Wahrheit einen in einen galaktischen Tölpel verwandelte.
Und die Briefe von zu Hause, die von Stolz erfüllten Briefe, die neidischen Briefe, die Briefe, die von Freude darüber erfüllt waren, daß es einem so gut ging – all diese Briefe würden nur weitere Glieder in der Kette sein, die einen an Kimon banden und an die Lüge von Kimon.
Er sagte zu dem Schrank: »Wie wär’s mit einem Drink?« »Ja, Sir«, sagte der Schrank. »Kommt sofort, Sir.« »Einen großen«, sagte Bishop, »und stark!« »Groß und stark, wie Sie wünschen, Sir.«
XIV
Er traf sie in der Bar: »Wenn das nicht mein Kleiner ist!« sagte sie so, als begegneten sie sich dort oft. Er setzte sich auf den Barhocker neben sie. »Die Woche ist beinahe um«, sagte er. Sie nickte. »Wir haben Sie beobachtet. Sie machen sich gut.« »Sie haben versucht, es mir zu sagen.«
»Vergessen Sie es!« sagte das Mädchen. »War mein Fehler. Es ist Zeitvergeudung, wenn man es irgendeinem von ihnen sagt. Aber Sie sahen so intelligent aus und so, als wären Sie noch nicht ganz trocken hinter den Ohren. Sie haben mir leid getan.«
Sie blickte ihn über ihr Glas hinweg an.
»Ich hätte es nicht tun sollen«, sagte sie.
»Ich hätte zuhören sollen.«
»Das tun die nie«, sagte Maxine.
»Da ist noch etwas«, sagte er. »Warum ist es noch nicht durchgesickert? Oh, sicher, ich habe auch meine Briefe geschrieben. Ich habe nicht zugegeben, wie es war. Sie auch nicht. Und auch nicht der Mann neben Ihnen. Aber irgend jemand, in all den Jahren, die Menschen jetzt hier sind…«
»Wir sind alle gleich«, sagte sie. »Gleich wie Erbsen in der Schote. Wir sind die Gesalbten, die Handverlesenen, stur, von Eitelkeit gepeinigt, voll Angst. Alle sind wir hierhergekommen. Komme, was da wolle – wir hatten uns Kimon zum Lebensziel gemacht. Wir ließen nicht zu, daß sich uns irgend etwas in den Weg stellte, und wir haben es geschafft. Wir haben
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