Titan 20
Gesicht und Körper fand er sie angenehm, aber ihre Augen beunruhigten ihn. Sie sprachen zu deutlich von Wissen, das das seine überstieg – Wissen, das ihm das Gefühl vermittelte, er wäre ein Kind. Er sah, wie sie die Stärke des Streifens prüfte, der ihre Handgelenke umschlang, sah, wie sie sich ungeschickt aufsetzte und den Kopf nach hinten warf, um eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu schleudern. Sie lächelte ihm zu, so wie ein Verschwörer gelächelt hätte.
»Wer bist du?« fragte er mit belegter Stimme.
Sie bewegte den Unterkiefer etwas zur Seite und schnitt eine Grimasse. »Du bist stark, Andro.«
»Wer bist du?«
»Dein Freund. Dein sehr guter Freund. Mein Name ist Calna.«
»Calna«, sagte er und kostete das Wort bedächtig aus. »Ich war dabei zu sterben. Jetzt bin ich wieder ganz. Ich war in der Falle und jetzt bin ich frei. Wenn du das getan hast, dann beweist das, daß du mein Freund bist. Aber das Ziel, das du dabei verfolgt hast, macht dich vielleicht zum Feind.«
Sie blickte auf ihren Gürtel hinunter. »Binde mich los, Andro! Die Fesseln sind zu straff.«
Er band sie los. Sie stand auf, bewegte die Hände, rieb sich die Gelenke. Ihr Kopf mit dem glänzenden Haar reichte ihm bis an die Augen. Sie lächelte ihm zu, und in dem Lächeln war etwas, das ihm nicht gefiel.
Sie sagte: »Bin ich jetzt hilflos, weil du mir die Dinge vom Gürtel genommen hast?«
»Natürlich.«
Ihre Hände berührten ihn, und er versuchte erneut, nach ihr zu schlagen. Dann schrie er in plötzlichem Schmerz auf, als ihre Finger Druckpunkte fanden. Sie hörte nicht auf zu lächeln. Sie berührte seine Ellbogen fast liebkosend, und seine beiden Arme hingen schlaff und nutzlos herunter. Ihre Hand strich über seinen Hals, und er stürzte schwer. Er versuchte sich zu bewegen, und obwohl ihm die Anstrengung den Schweiß auf die Stirne trieb, konnte er sich nicht bewegen.
Sie setzte sich neben ihn und sagte mit weicher Stimme: »Das vergeht in wenigen Augenblicken, Andro. Und sei nicht verletzt. Dies sind Methoden, in denen man mich sorgfältig ausgebildet hat.« Sie stand auf und sah sich um. Dann ging sie unbeirrt zu dem Stein, hinter dem er die glänzenden Dinge versteckt hatte. Sie hob sie auf und hakte sie gleichgültig an ihrem Gürtel ein.
Ein Teil der Schwäche war von ihm gewichen. Er setzte sich auf und funkelte sie an. Sie lachte. »Schau nicht so wild, Andro! Siehst du, ich kenne dich sehr gut. Ich habe dich vier lange Jahre gekannt. Vor diesem letzten Entkommen waren es fünf andere. Wahrscheinlich hieltest du es für Glück oder vielleicht sogar Klugheit. Ich habe dir geholfen, Andro. Sechsmal hättest du sterben sollen, und ich habe dir geholfen. Das siebtemal geschah es, während du nicht bei Bewußtsein warst. Und das war das Schlimmste von allen, das Gefährlichste.«
»Warum hast du mir geholfen?«
»Ich bin nicht von deiner Welt, Andro.«
»Das habe ich vermutet.«
»Meine Welt war an deinem Aufstand gegen Shain interessiert. Es war zu unserem Vorteil, dir zu helfen. Wir haben auf vielfältige Weise geholfen, aber nicht genug. Ich befolgte Befehle, die man mir erteilt hat. Als man sah, daß unsere Hilfe nicht genug war, befahl man mir, dich auf Zeran sterben zu lassen. Ich habe den Befehlen nicht gehorcht.«
»Warum?«
Calna runzelte die Stirn. »Ich ... ich weiß es nicht. Ich wußte, daß ich anfing, mich emotionell für dich zu interessieren, aber das für sich hätte nicht stark genug sein dürfen, um mich zu veranlassen, gegen meine Befehle zu handeln. Es wurde einfach etwas, das ich ... das ich tun mußte, Andro. Und jetzt werde ich von meiner Welt gejagt.«
»So wie ich von der meinen gejagt werde?«
»Nein. Deine Welt glaubt, du seist tot.«
Er stand auf, als der letzte Rest seiner Stärke in ihn zurückflutete. Er sah sich um. »Ist dies deine Welt oder meine?«
»Weder, noch.«
Er starrte sie an. »Was sollen wir tun? Wie sind wir hierhergekommen? Ich möchte auf meine eigene Welt zurück. Es gibt dort ... viele Dinge, die ich beenden muß.«
»Du kannst nicht zurück. Es gibt keinen Weg.«
Andro sah sie einen Augenblick lang schweigend an. »Bis zu diesem Augenblick glaubte ich, daß du mir die Wahrheit gesagt hast. Warum fängst du jetzt an zu lügen?«
»Hör mir gut zu und verstehe mich, wenn du kannst! Ich werde es so einfach ausdrücken, wie ich kann, Andro. Wir haben versucht, deiner Welt zu helfen, ohne unsere Anwesenheit bekannt werden zu lassen. Wenn wir es zu
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