Titan 7
wie ein alles verschlingendes Ungeheuer auf sie zu.
Sheerin blieb stehen. Seine feisten Finger krallten sich in seine Brust. Seine Augen traten aus ihren Höhlen hervor, und seine Stimme klang wie trockener Husten. »Ich kann… kaum noch atmen. Gehen… Sie… allein weiter. Sperren Sie alle Türen ab…«
Theremon ging noch ein paar Stufen weiter hinunter, dann drehte er sich um. »Warten Sie! Können Sie noch eine Minute aushalten?« Er selbst mußte jetzt nach Luft ringen. Wie dicke, klebrige Melasse floß die Luft in seinen Lungen und wieder hinaus. Bei dem Gedanken, allein in das unheimliche Dunkel weitergehen zu müssen, quoll das Gefühl wilder Panik in ihm hoch.
Er, Theremon, fürchtete sich vor der Dunkelheit!
»Bleiben Sie hier stehen!« sagte er. »Ich bin in einer Sekunde wieder zurück.« Er schoß die Treppe wieder hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals – aber nicht nur von der Anstrengung. Er taumelte in die Kuppel und riß eine Fackel aus ihrem Halter. Sie stank entsetzlich, und der stechende Qualm trieb ihm Tränen in die Augen. Aber er drückte die Fackel an sich, als wollte er sie vor Freude küssen. Die Flamme wehte wie ein Schweif hinter ihm her, als er die Stufen wieder hinabjagte.
Sheerin öffnete die Augen und gab ein Stöhnen von sich, als Theremon sich über ihn beugte. Theremon rüttelte ihn unsanft. »Alles okay. Raffen Sie sich zusammen! Wir haben Licht!«
Er hielt die Fackel hoch über sich, faßte den zitternden Psychologen beim Arm, und gemeinsam gingen sie unter dem schützenden Lichtkreis der Fackel weiter nach unten.
Die Büroräume im Untergeschoß waren noch immer von den letzten matten Strahlen Betas erleuchtet, und Theremon spürte, wie die Panik langsam nachließ.
»Da wären wir«, sagte er mit rauher Stimme und reichte Sheerin die Fackel. »Man kann sie schon hören.«
Deutlich waren menschliche Stimmen zu vernehmen. Kurze Fetzen heiserer, wortloser Schreie drangen zu ihnen herein.
Aber Sheerin hatte recht; das Observatorium war wie eine Festung ausgebaut. Noch aus dem vorigen Jahrhundert stammend, als der neo-gavottische Architekturstil seinen geschmacklosen Höhepunkt erreicht hatte, war es eher unter dem Gesichtspunkt der Stabilität und Dauerhaftigkeit errichtet worden als für das Auge.
Die Fenster lagen geschützt hinter Gittern aus zolldicken Eisenstäben, die tief in die Betonwände eingelassen waren. Die Wände aus solidem Mauerwerk hätten sogar einem Erdbeben standgehalten, und das Haupttor bestand aus massivem Eichenholz, das man mit querliegenden Eisenbalken verstärkt hatten. Theremon schob die Riegel vor; sie glitten mit dumpfem Laut in ihre Schlitze.
Am anderen Ende des Gangs stieß Sheerin einen leisen Fluch aus. Er zeigte auf das Schloß der Hintertür; jemand hatte es mit einem Brecheisen fast völlig demoliert.
»Das kann nur Latimer gewesen sein«, sagte Sheerin.
»Nun stehen Sie nicht hier herum!« drängte Theremon ungeduldig. »Helfen Sie mir lieber, die Tür mit Möbeln zu verbarrikadieren – und gehen Sie mit der verdammten Fackel von meinen Augen weg! Der Rauch bringt mich noch um.«
Noch während er sprach, wuchtete er den schweren Tisch aufrecht vor die Tür, und innerhalb von zwei Minuten hatte er eine Barrikade errichtet, die zwar weder schön noch symmetrisch war, diesen Mangel jedoch durch ihre schier unbeweglich scheinende Masse mehr als wettmachte.
Undeutlich drang, wie von irgendwo aus weiter Ferne kommend, das Geräusch nackter Fäuste, die gegen die Tür hämmerten, an ihr Ohr. Das Schreien und Rufen klang fast unwirklich.
Der Mob war von Saro City losgestürmt, besessen von zwei Empfindungen: Die erste war die verzweifelte Hoffnung, durch die Zerstörung des Observatoriums das Seelenheil erringen zu können, wie es die Kultisten ihnen in Aussicht gestellt hatten. Die zweite Empfindung war Furcht, entsetzliche, lähmende Furcht. Diese Furcht hatte ihre Gedanken so verwirrt, daß sie gar nicht daran gedacht hatten, Fahrzeuge oder Waffen mitzunehmen. Führungslos und ohne jegliche Organisation hatte sich der Haufen zu Fuß auf den Weg gemacht und versuchte nun, das Observatorium mit bloßen Fäusten anzugreifen.
Und während die Menschen in wahnsinniger Angst gegen die Türen hämmerten, blitzte der letzte matte Strahl von Beta noch einmal auf und tauchte die gespenstische Szenerie in rubinrotes Dämmerlicht. Die im Todeskampf liegende Beta beschien flackernd und mit letzter Kraft
Weitere Kostenlose Bücher