Titanen-Trilogie 02 - Die Kinder der Titanen
waren wie er.
Der Tempel war ein gewaltiger Bau, von hohen Säulen und einer Mauer umgeben. Mit Feuerwaffen ausgerüstete Posten standen am Eingang. Var, der so schwach war, daß sogar der kurze Weg ihn ermüdet hatte, spürte Nervosität. Dazu kam, daß er selbst unbewaffnet war.
Im Tempelinneren sah er Priester in wallenden Gewändern und dazu eine erlesene Einrichtung. Nach verschiedenen Erklärungen, die Vars Führer abgeben mußte, landeten sie in einem Raum, der in der Mitte durch eine Reihe senkrechter Metallstäbe geteilt war, die etwa vier Zoll voneinander Abstand hielten.
Soli betrat nun die andere Hälfte des Raumes. Kaum sah sie Var, lief sie an die Stäbe und faßte nach seiner Hand. »Du bist wieder gesund!« rief sie mit gebrochener Stimme.
»Ja.« Was sie betraf, so hatte er seine Zweifel. Sie sah gut aus, doch ihr Benehmen war sonderbar. »Warum bist du hinter Gittern?«
»Ich bin im Tempel.« Sie schwieg und sah ihn an. »Ich habe mich mit etwas Bestimmtem einverstanden erklärt, und muß nun hierbleiben. Var, von nun an darf ich dich nicht wiedersehen.«
Der Umgang mit Worten fiel ihm noch immer schwer. Er wußte nicht, wie er sie dazu bringen konnte, die Wahrheit zu sagen. Besonders in Gegenwart des Fremden. Doch ihr angespanntes, beherrschtes und verzweifeltes Gehabe sagte ihm, daß etwas Schreckliches während seiner Krankheit passiert war, und daß Soli nicht erwartete, ihn wiederzusehen.
Und sie wollte nicht, daß er den Grund erfuhr.
Nun war sie ihm also ebenso entfremdet worden wie der Herr – und auch durch Dazwischentreten eines Dritten.
»Lebwohl, Var!«
Er wollte nicht Lebwohl sagen. Er drückte ihre Hand und wandte sich zum Gehen, wohl wissend, daß jetzt nicht die Gelegenheit zu einer Erwiderung war. Er wußte zuwenig.
Auf dem Rückweg dachte er nach, wie er nun vorzugehen hatte.
»Du mußt zur Arbeitsvermittlung gehen und dich um eine Ausbildungsstelle bewerben«, sagte der Mann. »Zunächst werden dir auch einfache Arbeiten schwerfallen.«
»Und was ist, wenn ich hier nicht bleiben will?« Aber ohne Soli gehe ich nicht, dachte er im stillen.
»Natürlich kannst du gehen, wenn du dir ein Boot kaufst und dazu Vorräte. Das hier ist eine freie Insel. Aber zu all dem brauchst du Geld.«
»Geld?«
»Wenn du nicht weißt, was das ist, dann hast du auch keines.«
Var ließ es dabei bewenden. Mit der Zeit würde er herausfinden, was Geld eigentlich war, und ob er es brauchte. Es klang so, als wäre es etwas Ähnliches wie Tauschhandel.
Sie betraten das Krankenhaus und gingen auf Vars Zimmer. »Noch einen oder zwei Tage, und du mußt hier raus«, sagte der Mann.
Var sah sich um. Von seinen oder Solis Habseligkeiten nirgends eine Spur, bis auf den Armreif, den er trug, und der war stumpf und zerkratzt. Er glaubte zu wissen, warum man ihm den gelassen hatte. Sie wußten wohl nicht, daß er aus Gold war.
Das Bett war ähnlich dem, das er in seiner Kindheit im Ödland gesehen hatte. An beiden Enden hohe Metallpfosten, wie Fensterkreuze oder wie die Stäbe im Tempelraum. Stäbe ließen sich lockern und losreißen…
»Und noch ein letztes Wort«, sagte der Mann. »Mach denen im Tempel keinen Ärger. Man wird dich nicht mehr zu ihr lassen.«
Var legte die Hand auf einen der Stäbe und drehte ein wenig dran. Er saß fest. »Warum nicht?«
»Weil sie nun eine Tempeljungfrau ist, unserem Gott Minos geweiht. Diese Mädchen werden während der Wartezeit lange völlig von allen Menschen getrennt gehalten.«
Var versuchte es an der nächsten Stange. Diese ließ sich drehen. »Warum?«
»So verlangen es die Gesetze. Wenn sie sich dem heiratsfähigen Alter nähern, ist die Gefahr zu groß, daß sie für den Gott an Wert verlieren.«
Der Stab war nun locker. Var hob ihn hoch und ging damit auf den Mann zu, seine Schwäche unterdrückend. »Was geschieht mit ihr?«
Der Mann sah ihn und die improvisierte Keule an, als wäre ihm die Bedrohung gar nicht klar. »Wirklich, es ist völlig überflüssig – «
»Sag es mir oder du mußt sterben.« Var, den die Angst um Soli trieb, war es ernst. Er war zwar schwach, doch dieser Mann war offensichtlich nicht kampferprobt. Einer oder zwei Hiebe würden ausreichen.
»Also gut. Sie wird Minos geopfert werden.«
Var spürte ein Schwindelgefühl, und seine Schwäche wuchs. Seine ärgsten Befürchtungen waren auf brutale Weise bestätigt worden. »Warum?«
»Du hast im Sterben gelegen. Ärztliche Betreuung ist kostspielig. Sie erklärte sich
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