Titanen-Trilogie 03 - Der Sturz der Titanen
einander begegneten -«
»War sie mit einem Nomaden unterwegs?« fragte Neq, noch immer nachdenklich wegen der Parallele zu seinem eigenen, sechs Jahre zurückliegenden Erlebnis. »Eine Irre?«
»Ich bin Vara«, erklärte sie. »Ich bin mit meinem Mann unterwegs. Er sollte eigentlich hier irgendwo sein -«
Neq war noch immer im Nebel seiner Gedanken befangen. »Var? Der Stock?«
»Ja. Bist du ihm begegnet? Tyls Erklärung entnehme ich, daß wir eine gemeinsame Mission haben -«
Da wurde Neq von der grässlichen und totalen Erkenntnis überfallen. Er stieß mit dem Fuss gegen den frischen Grabhügel.
»Ich - ich bin ihm begegnet.«
Tyl erfasste mit einem einzigen Blick die Situation. Die Hand zuckte zum Schwert und sank wieder herab. Er wandte sich um.
Vara ging an den Grabhügel und entfernte vorsichtig einen Teil der Steinumrandung. Mit bloßen Händen scharrte sie die frische Erde weg. Neq sah ihr zu. Schließlich hatte sie einen Fuss freigelegt, einen Fuss mit plumpen hufähnlichen Zehen. Sie berührte ihn, spürte seine Kälte.
Inzwischen war es dunkel geworden, und die Nacht hüllte sie ein, während sie noch immer den verformten toten Fuss ansah. Dann bedeckte sie ihn ganz sacht, füllte die Senke mit Erde aus und legte die Steine wieder zurecht.
»Meine beiden Väter sind tot«, sagte sie tieftraurig. »Und jetzt ist auch mein Mann tot. Sagt mir, was soll ich tun?«
»Wir sind einander begegnet und kämpften.«
»Ich habe Sol gedient«, sagte Tyl von irgendwo aus der Nacht. Er sprach mit abgewandtem Gesicht. Aus seiner Stimme klang ein Schmerz, wie Neq ihn noch nie zuvor bei ihm gehört hatte. »Ich diente dem Waffenlosen. Var der Stock war mein Freund. Ich hätte dich und ihn aus dem Ring gewiesen, hätte ich bloß sicher gewusst, was ich nur ahnte. Erst als ich Vara sah, hatte ich Gewissheit. Du bist Var zu früh begegnet.«
»Ich wusste nicht, daß er dein Freund war«, brachte Neq mühsam hervor. »Ich kannte ihn nur als heimtückischen Mörder, der ein Kind Helicons tötete.«
»Du hast ihm unrecht getan«, fuhr Tyl in demselben ruhigen Ton fort, in dem auch Vara gesprochen hatte. »Er war kühn und sanft zugleich. Und er verfügte über ein unschätzbares Talent.«
»Var tötete nur, wenn es unbedingt nötig war«, sagte Vara. »Und nicht einmal dann tötete er immer.«
Neq fühlte sich unbeschreiblich elend, obwohl es ein ehrlicher Kampf gewesen war. Er hatte zu voreilig gehandelt, wie schon so oft zuvor. Sein Schwert war schneller als sein Verstand. Er hätte ja den Kampf einstellen und auf Tyls Rückkehr warten können. Jetzt musste er sein Vorgehen rechtfertigen.
»War es denn unbedingt notwendig Sols Kind zu töten?« fragte er.
Vara wandte sich ihm in der Dunkelheit zu. »Ich bin Sols Kind.«
Neq spürte, wie sein Inneres sich aufbäumte. Er ahnte, was nun kommen würde. »Er tötete Soli am Mount Muse, als sie acht Jahre alt war. Alle Berichte stimmen dahingehend überein«, sagte er.
»Alle bis auf einen«, entgegnete sie. »Bis auf den einzig richtigen. Er behauptete bloß, er hätte mich getötet, damit die Nomaden gewinnen konnten und meine zwei Väter wieder zusammenfänden. Nachher konnte ich nicht mehr zu Sol zurück, um ihm die Wahrheit zu sagen, und der Waffenlose verfolgte Var mit seiner Rache.«
Rache! Verabscheuungswürdig.
»Wir mussten fliehen. Wir kamen bis China und ich nahm seinen Reif, als ich alt genug war. Soli existiert nicht mehr.«
Jetzt erst erkannte Neq ihr Gesicht, obwohl er es in der Finsternis gar nicht sehen konnte. Die klassische Schönheit Solas! Ihre Kleidung und seine ihm langsam dämmernde Schuld hatten ihn blind gemacht.
»Der Junge, der mit Var nach Norden ging -« murmelte Neq. »Ein Mädchen, das seine Haare versteckte.«
»Ja. Damit niemand erfuhr, daß ich noch lebte. Jetzt kann ich das nicht mehr.«
Nein, gewiss nicht! Aus der Achtjährigen war eine Frau von fünfzehn Jahren geworden! Und auch Sol verfolgte mich, ohne zu wissen ... er muss unterwegs dem Waffenlosen begegnet sein!
»In China erfuhren sie alles. Und sie opferten ihr Leben für uns, indem sie radioaktive Steine in die Festung des Gegners schleppten und uns die Flucht ermöglichten. Var wurde nie das Gefühl los, er wäre an ihrem Tod schuld, aber in Wahrheit war es meine Schuld. Ich wusste genau, daß sie es tun würden.«
Var hatte sich mit Vorwürfen gequält . . . und hatte Neqs
Anschuldigungen nichts entgegengesetzt. Und nun lastete Vars
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