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Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titel: Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Beesley
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kennen alle die tickende Uhr in einem
ruhigen Raum, die erst wahrgenommen wird, wenn sie aufhört zu ticken, weil wir
unbewußt das Ticken vermissen. In gleicher Weise kam uns an Bord ins
Bewußtsein, daß die Maschinen, jener Teil des Schiffes, der uns durch das Wasser
voranbringt, völlig gestoppt wurden. Aber das Anhalten der Maschinen gab uns
trotzdem keine Information: Wir mußten uns jeder einen eigenen Reim darauf
machen, warum wir festlagen. Wie ein Blitz kam mir der Gedanke: »Wir haben ein
Schraubenblatt verloren, denn wenn das passiert, rasen die Maschinen, solange
sie nicht wieder unter Kontrolle sind, das zeigte ihre zusätzliche
Anstrengung.« Aus heutiger Sicht eine nicht sehr logische Schlußfolgerung, weil
dann die Maschinen weiter gerast wären bis zum Augenblick des Anhaltens; aber
es kam darauf an, erstmal eine zufriedenstellende Erklärung zu finden. Ihr
folgend, sprang ich aus dem Bett, schlug mir einen Umhang über den Pyjama, zog
Schuhe an und ging aus meiner Kabine in die Halle nahe beim Salon. Hier traf
ich einen Steward, der am Treppengeländer lehnte. Er wartete offenbar darauf,
daß die letzten Gäste des darüber liegenden Rauchsalons zu Bett gehen würden,
damit er die Lichter löschen könne.
    Ich sagte:
»Warum haben wir angehalten?« – Er antwortete: »Ich weiß es nicht, mein Herr,
aber ich vermute, es ist nichts Ernstes.« – »Nun«, sagte ich, »ich gehe an Deck
und schaue mal nach«, und schritt zur Treppe. Er lächelte mich nachsichtig im
Vorübergehen an und sagte: »In Ordnung, mein Herr, aber es ist ziemlich kalt
dort oben.« Ich bin sicher, daß er mich um diese Zeit für etwas verrückt
gehalten hat, fast ohne Grund dort hinaufzugehen, und ich muß gestehen, daß ich
es selbst absurd fand, nicht in die Kabine zurückzukehren. Es scheint ein
unnötiges Aufheben zu sein, in einem Übermantel über das Schiff zu spazieren.
Aber es war meine erste Reise zur See, und ich freute mich über jede Minute und
war gespannt darauf, neue Erfahrungen zu sammeln; und plötzlich stoppten wir
auf hoher See, weil wir eventuell ein Propellerblatt verloren hatten: das war
ein ausreichender Grund für mich, an Deck zu gehen. Und dann der Steward mit
seinem väterlichen Lächeln und der Umstand, daß sonst niemand in diesem Gang
war oder die Treppen benutzte, um nachzusehen, was los war. Diese Konstellation
machte mich auf eine unbekannte Weise schuldbewußt, daß ich die Regeln an Bord
brach – eines Engländers Angst, für ungewöhnlich gehalten zu werden –
möglicherweise!
    Ich erklomm
die drei Stockwerke, öffnete die Außentür, um an Deck zu gelangen, und trat in
eine Atmosphäre, die mich wie mit Messern schnitt, so wie ich angezogen war.
Hinübergehend nach Steuerbord, blickte ich hinunter und sah das Wasser viele
Fuß tiefer, ruhig und schwarz. Voraus erstreckte sich das verlassene Deck bis
zum Abschnitt der ersten Klasse und der Kommandobrücke; und nach hinten bis zur
Unterkunft der Zwischendeckspassagiere und der hinteren Brücke, sonst nichts.
Kein Eisberg auf irgendeiner Seite oder hinter uns, jedenfalls so weit man bei
der Dunkelheit sehen konnte. Außer mir waren noch zwei oder drei Männer an
Deck, und mit einem von ihnen – dem schottischen Ingenieur, der den Gesang am
Klavier im Salon begleitet hatte, verglich ich den Stand unserer Erfahrungen.
Er hatte sich gerade ausziehen wollen, als die Maschinen anhielten, und war
sofort heraufgekommen, so daß er ziemlich wenig anhatte. Niemand von uns konnte
etwas erkennen, und alles blieb ruhig, und es bewegte sich nichts, so daß der
Schotte und ich auf das nächste Deck hinabgingen.
    Durch die
Fenster des Rauchsalons beobachteten wir den Fortgang eines Kartenspiels mit
einigen Zuschauern drum herum und gingen hinein, um zu erkunden, ob sie mehr
wüßten als wir. Auch sie hatten kaum mehr mitbekommen als die größere
Maschinenanstrengung, aber soweit ich mich erinnere, ist niemand von ihnen
hinausgegangen, um nachzufragen; auch nicht, als einer von ihnen einen Eisberg
durchs Fenster gesehen hatte, der die Decks überragte. Dieser lenkte die
allgemeine Aufmerksamkeit auf denselben, und alle sahen ihn verschwinden, aber
dann hatten sie das Spiel fortgesetzt. Wir fragten nach der Höhe des Berges,
und einige sagten hundert Fuß, andere sechzig, und einer der Zuschauer – ein
Autoingenieur, der mit seinem Vergasermodell nach Amerika wollte (er hatte
seine Einwanderungserklärung in meiner Nähe ausgefüllt und

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