Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
ganze Nacht über ihre Ruder kreuzten und gegeneinander schlugen.
Wäre unsere Sicherheit von der Geschwindigkeit abhängig gewesen oder von einer
Zeitersparnis, wäre es uns schlecht ergangen. Diskussionen begannen am einen
und am anderen Ende des Bootes, was wir tun und wohin wir rundern sollten, und
niemand schien eine Ahnung zu haben, was zu tun war. Zuletzt fragten wir: »Wer
hat die Aufsicht in diesem Boot?«, aber es gab keine Antwort. Wir kamen dann
allgemein darin überein, daß der Heizer am Heck, der die Ruderpinne führte, als
Kapitän fungieren sollte. Von dieser Zeit an bestimmte er den Kurs, rief andere
Boote an und hielt Verbindung zu ihnen. Nicht, daß es irgendwo hinging oder wir
irgend etwas taten. Unser Aktionsplan war einfach: alle Boote zusammenzuhalten,
solange es möglich war, und darauf zu warten, von anderen Schiffen aufgenommen
zu werden. Besatzungsmitglieder hatten etwas über eine drahtlose Kommunikation
aufgeschnappt, als sie die Titanic verließen, aber ich habe sie nicht
davon sprechen gehört, daß wir einen anderen Kontakt als den zur Olympic hätten;
es war immer die Olympic, die zu unserer Rettung unterwegs schien. Sie
dachten, sie würden etwa ihre Entfernung zu uns kennen, und eine
Überschlagsrechnung anstellend, kamen wir zu dem Ergebnis, daß wir annehmen
konnten, am Nachmittag gegen 14.00 Uhr von ihr aufgenommen zu werden. Aber dies
war nicht unsere einzige Hoffnung: Wir suchten die ganze Zeit über die
Dunkelheit nach Lichtern von Dampfern ab, daran denkend, daß es eine Chance
gäbe, wenn andere Dampfer nahe genug herankommen, um die mitgeführten Lichter
unserer anderen Boote zu erkennen. Ich bin sicher, daß niemand davon ausging,
daß wir nicht am nächsten Tag aufgenommen werden würden. Wir wußten, daß die
drahtlosen Mitteilungen von Schiff zu Schiff gingen und einer der Heizer
bemerkte: »Die See wird morgen nachmittag voll von Schiffen sein: sie werden
ein Wettrennen aus allen Himmelsrichtungen veranstalten, um uns zu finden.«
Einige meinten sogar, daß schnelle Torpedoboote vor der Olympic herlaufen
würden. Und doch, die Olympic war am weitesten fort von allen, acht andere
Schiffe lagen in etwa 300 Meilen Umkreis von uns. Wie dankbar wären wir
gewesen, hätten wir gewußt, wie nahe Hilfe war und wie viele Schiffe unseren
Notruf empfangen hatten und herangebraust kamen. Ich denke, kaum etwas anderes
hat uns so überrascht, als zu erfahren, daß so viele Schiffe in der Nähe waren,
um uns innerhalb weniger Stunden zu retten.
Gleich nach
dem Verlassen der Titanic sahen wir, wie wir dachten, Lichter eines
Schiffes am Horizont an der Backbordseite der Titanic, zwei Topplichter,
eines über dem anderen und sicherlich nicht eins von unseren Booten; wir
ruderten zeitweise sogar in diese Richtung, aber die Lichter veränderten sich
und verschwanden unter den Horizont. Aber das bedeutet, etwas vorwegzunehmen:
Wir taten dieses nicht zuerst. Wir hatten zunächst nur Augen für das Schiff,
das wir gerade verlassen hatten. Während die Ruderer langsam fortruderten,
sahen wir alle zurück und erlaubten uns einen ausführlichen Blick auf das
mächtige Schiff, das hoch über unserem kleinem Boot aufragte, und ich weiß, daß
dieses der außergewöhnlichste Anblick ist, den ich mir als Augenzeuge
vorstellen kann. Ich stelle hierbei fest, wie unvollkommen die Sprache ist,
einer anderen Person eine rechte Vorstellung davon zu vermitteln, wenn sie
nicht dabeigewesen ist.
Aber die
Aufgabe muß angepackt werden: Das ganze Bild ist so ungeheuer dramatisch, daß
es, wenn es schon nicht möglich ist, auf dem Papier eine Vorstellung von der
momentanen Schönheit des daliegenden Schiffes zu geben, es vielleicht eine
kleine Geschichte schaffen könnte. Zuerst einmal waren die Wetterbedingungen
außergewöhnlich. Die Nacht war eine der schönsten, die ich je erlebt habe: der
Himmel ohne eine einzige Wolke, welche die vollkommene Klarheit der Sterne
trüben könnte, die so zusammengedrängt schienen, daß es so aussah, als ob mehr
leuchtende Punkte am dunklen Himmel standen als der Himmelshintergrund selbst
ausmachte. Jeder Stern schien in dieser reinen Atmosphäre frei zu sein von
jeder Art von Schleier, so daß er zehnfach brillanter leuchtete, glitzerte und
blinkte mit einem Blitzgewitter, als wäre der Himmel nur dafür geschaffen
worden, sein eigenes Wunder anzuzeigen. Sie sahen so nahe aus, und ihr Licht
schien intensiver als je zuvor, daß die Phantasie einem vortäuschen könnte,
Weitere Kostenlose Bücher