Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
genommen?« Ich vernahm von niemandem, daß das alles auf die
Göttliche Vorsehung zurückzuführen wäre, welche über das Leben der Männer
entscheidet, und als Teil eines bestimmten Plans diese Not und jenes Unglück
bringt, um zu läutern, zu erziehen, anzuregen…
Ich sage
nicht, daß es keine Leute gegeben hätte, die dachten und sagten, daß sie eine
Göttliche Weisheit in allem sahen – so unerforschlich, daß wir es in unserer
Beschränktheit nicht verstehen, aber ich hörte es nicht ausgesprochen, und
dieses Buch sollte nichts weiter sein als eine Zusammenfassung der vielen
verschiedenen Erfahrungen und Überzeugungen.
Es gab
andererseits welche, die nachdrücklich nicht versäumten zu sagen, daß die
Gleichgültigkeit gegenüber den Rechten und Gefühlen anderer, ja die Blindheit
zur Pflicht gegenüber unserem Nächsten in letzter Konsequenz meist der Grund
für die menschliche Not in der Welt wäre. Und es sollte unzweifelhaft mehr
unser Gerechtigkeitsgefühl angesprochen werden und unser eigenes Unvermögen zur
Rücksichtnahme, als die Verantwortung auf denjenigen zu schieben, dessen Macht
wir gerne als allwissend und allesliebend voraussetzen. Alle Boote waren bis
2.00 Uhr früh herabgelassen und fortgeschickt worden, und um diese Zeit lag das
Schiff tief im Wasser, das Vordeck vollständig überspült, und die See kroch
beständig zur Brücke hinauf und war nur noch wenige Meter von ihr entfernt.
Niemand auf
dem Schiff konnte nun noch irgendwelche Zweifel an seinem endgültigen Ende
haben, und trotzdem zeigten die fünfzehnhundert Passagiere und
Besatzungsmitglieder keine Reaktion. Nicht ein Ton kam von ihnen, wie sie so
ruhig auf den Decks standen oder unter diesem ihren Pflichten nachgingen. Es
scheint unglaublich, und selbst wenn es die Fortwirkung des gleichen Gefühls
war, das schon an Deck vorherrschte, bevor die Boote es verließen – und ich
habe keinen Zweifel daran, daß es so war –, ist die Erklärung dafür ehrlich und
glaubwürdig in ihrer Einfachheit. Im letzten Kapitel wird der Versuch gemacht,
zu zeigen, warum die Haltung der Masse so ruhig und mutig war.
Es gibt
Berichte über aufgebrachte Menschenmassen, die über das Deck rannten, kämpfend
und um sich schlagend; aber zwei der genauesten Beobachter, Oberst Gracie und
Herr Lightoller, behaupteten, daß dem nicht so war, sondern daß völlige
Disziplin und Ruhe herrschten. Die Musikkapelle spielte immer noch, um die
Herzen der Umstehenden zu erfreuen. Die Ingenieure und ihr Personal arbeiteten
noch immer an den Dynamos, ganz weit unten, und hielten sie in Gang, wie es
sonst niemand hätte länger tun können, bis sich das Schiff am Ende aufrichtete
und sich die Maschinen lösten und zusammenfielen – ich habe von niemanden
gehört, daß er auch nur einen einzigen Ingenieur an Deck gesehen hätte. Das
Licht verlöschte nur, weil es keine Maschinen zu dessen Erzeugung mehr gab,
nicht, weil die Menschen zu ihrer Bedienung nicht an ihrem Platz gewesen wären.
In den unteren Räumen des Schiffes zu sein, weit fort vom Oberdeck, wo in jedem
Falle die Möglichkeit zu springen und zu schwimmen und eine gewisse Aussicht
auf Rettung bestand; zu wissen, während das Schiff versank – wie sie es nun
wissen mußten –, daß es keine Hoffnung geben konnte, die See zu erreichen; alle
diese Umstände zu kennen und doch die Maschinen in Gang zu halten, auf daß die
Decks bis zuletzt beleuchtet sein würden, das erfordert erhabenen Einsatz!
Aber dieser
Einsatz gilt für jeden Ingenieur und ist nicht an eine Person gebunden, er wird
»Pflichterfüllung« genannt. Es gibt kein besseres Beispiel dafür, als an die
Ingenieure der Titanic zu erinnern, die weiter ihre Pflicht taten, bis
das Schiff krängte und sie mit ihren Maschinen der Länge nach durch den Rumpf
geschleudert wurden. Die einfache Feststellung, daß das Licht bis zuletzt
gebrannt hat, könnte tatsächlich ihre Grabinschrift sein, aber die Worte
Lowells * mit ihrer eigentümlichen Kraft würden noch besser zu
ihnen passen:
»Je länger
wir auf dieser Welt leben
Und die Werte
der verschiedenen Männer wichten –
Je mehr
fühlen wir die große, ausgezeichnete Schönheit
Der einfachen
Hingabe zur Pflichterfüllung.
Standhaft und
ruhig, ohne den Preis sterblichen Lobes
Aber
reichlichste Belohnung findend
Für des
Lebens unbekränzte Hingabe
Bei der
Arbeit, die aufrichtig und unvergeudet getan
wird über
Tage…«
Einige Zeit, bevor die Titanic sank, hatte sie eine
Weitere Kostenlose Bücher