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Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte

Titel: Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Beesley
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ausgebildeter
Armeeoffizier – durch Befehle vom Kapitän gezwungen worden wäre, unbewaffnete
Passagiere niederzuschießen. Das mag unter gewissen Umständen notwendig gewesen
sein, mutig wäre es nicht gewesen. Auch wäre es gleichfalls nicht mutig
gewesen, wenn Kapitän Smith oder Murdoch ihrem Leben ein Ende gesetzt hätten.
Es ist denkbar, daß Männer so von ihrem Unglücksgefühl überwältigt werden, daß
sie nicht mehr wissen, wie sie handeln. Aber wirklich mutig wäre es gewesen,
mit dem Schiff unterzugehen – wie sie es wohl taten –, in der Hoffnung,
gerettet zu werden wie andere Passagiere und Besatzungsmitglieder, und
zurückzukehren, um sich einer Untersuchungskommission zu stellen und um Zeugnis
abzulegen, welches von großem Wert für die ganze Welt wäre, um ähnlichen
Unglücken vorzubeugen. Das war nicht möglich; aber wenn Heldentum bedeutet, das
Beste in größtem Ausmaß zu tun, wäre es für die Offiziere mutig gewesen,
anzunehmen,gerettet zu werden. Wir wissen nicht, was sie dachten, aber
ich für meine Person, könnte mir vorstellen, daß sie es getan hätten. Der Zweite
Offizier Lightoller arbeitete unermüdlich bei den Booten bis zum letzten
Moment, ging mit dem Schiff unter, wurde unter sehr wunderbaren Umständen
gerettet und kehrte zurück, um wertvolles Zeugnis vor den Kommissionen zweier
Länder abzulegen.
    Der zweite
Punkt, der aus den Gefühlen, die durch das Unglück hervorgebracht wurden,
herausragt, ist der, daß in Augenblicken der dringlichsten Hilfsbedürftigkeit
Männer und Frauen etwas vollständig Ungewöhnliches zu tun bereit sind, um Hilfe
zu erhalten. Ich erinnere mich an eine Geschichte, die ich vor Jahren gelesen
habe, von einem Atheisten, der als Mittagsgast bei einer Regimentsmesse in
Indien dabei war. Der Oberst hörte sich seine Bemerkungen zum Atheismus in Ruhe
an und lud ihn am folgenden Morgen zu einer Ausfahrt ein. In einem leichten
Wagen, der von zwei Ponies gezogen wurde, nahm er seinen Gast mit auf eine
holperige Bergstraße, und in einiger Entfernung zur Ebene drehte er den Wagen
um und schien seinen Pferden zu erlauben, bergab zu galoppieren. Angesichts des
heraufziehenden Unglücks wurde der Atheist aus seiner begründeten Überzeugung
gerissen und flehte laut um Hilfe. Da zügelte der Oberst seine Ponies und mit
der Bemerkung, die ganze Fahrt sei mit der Absicht geplant gewesen, seinem Gast
nachzuweisen, daß es eine Kraft außerhalb seiner eigenen Vernunft gäbe, die in
aller Stille im Grunde seines Herzens ruht.
    Die
Geschichte mag wahr sein oder nicht, auf jeden Fall sollte sie nicht als
Angriff auf den Atheismus verstanden werden, aber sie zeigt auf eindringliche
Weise die Schwäche in der Abhängigkeit von eigener Kraft und Geschick in
unmittelbarer Gefahr. Allen jenen Männern auf dem Oberdeck, deren Boote
sämtlich gefiert waren, und noch mehr, als alle Boote abgelegt hatten, wurde
bewußtgemacht, daß nun die menschlichen Hilfsquellen versiegt und die
Fluchtwege abgeschnitten waren. Mit dieser Erkenntnis kam die Hinwendung zu
dem, was man an Bewußtsein besaß für die Urkraft, die das Universum erschaffen
hatte. Zusammengefaßt: irgendeine Kraft hat die glitzernden Sterne über uns
gemacht, unzählbare Meilen weit fort, gestaltet nach einem bestimmten Plan und
bestimmten Gesetzen gehorchend. Sie hat jeden einzelnen Passagier geschaffen
mit der Möglichkeit zu denken und zu handeln; mit dem direktesten Beweis, alles
in allem, daß er geschaffen wurde: das Wissen um seine eigene Existenz. Und
nun, wenn überhaupt jemals, war die Zeit gekommen, sich auf diese Kraft zu
besinnen. Als die Rettungsboote abgelegt hatten und es klar wurde, daß das
Schiff schnell versank, standen Männer in Gruppen an Deck zusammen, um zu
beten, und später, als einige von ihnen auf dem umgeschlagenen faltbaren Boot
lagen, wiederholten sie immer und immer wieder das Vaterunser – unabhängig von
ihrer religiösen Überzeugung, einige – vielleicht – auch ohne jeden Glauben,
vereint in einem kollektiven Aufruf nach Befreiung aus ihrer Lage. Und dies
geschah nicht aus Gewohnheit, weil sie es auf den Knien ihrer Mütter gelernt
hätten; Männer tun so etwas nicht aus Gewohnheit. Es muß geschehen sein, weil jeder
einzelne sah, wie sich die 1001 Wege auflösten, auf die er sich verlassen
hatte. Es war die Erkenntnis vom zerstörten Vertrauen auf menschliche,
materielle Dinge, die ihm helfen sollten – eingeschlossen jene Abhängigkeit,
sich auf dem umgeschlagenen

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