TITANIC-WORLD
TITANIC in den Spross einer Adelsfamilie verliebt hätte und nun versuchte, hier im Ruheraum des Türkischen Bades vor dem Dinner mit ihrem Angebeteten noch ein wenig zu entspannen. Was würde sie anziehen? Welche Juwelen würde sie tragen? Würden sie nach dem erstklassigen Menü an Deck spazieren gehen und dort, unter dem Funkeln tausender von Sternen – würde er ihr da seine Liebe gestehen und einen Heiratsantrag machen?
Die Eingangstüre schnappte sanft ins Schloss und riss Gina aus ihrem herrlichen Tagtraum. Sie sah auf. Der Ruheraum des Türkischen Bades lag verlassen da. Nur eine einsame Stewardess, die einen Stapel Handtücher über dem Arm trug, stand reglos neben der Tür. Ohne dem Mädchen Beachtung zu schenken, begann die Frau langsam von Liege zu Liege zu gehen. Mit routinierten Handgriffen – die Gina dennoch ein bisschen steif vorkamen – verteilte die Stewardess die Handtücher. Alle Achtung, dachte Gina bewundernd. Das nenne ich eine echte Erlebniswelt! Egal, wo man sich auch befindet, überall sorgen kleine, authentische Details dafür, dass man wirklich glaubt, eine Zeitreise gemacht zu haben. Sie beobachtete die Stewardess einen Moment lang und mit einem Mal, kroch eine Gänsehaut über ihren Rücken. Irgendetwas stimmte nicht. Es lag eine lastende Stille über dem Raum; selbst die Hintergrundmusik hatte aufgehört zu spielen. Diese Stille, diese absolute Stille war es, die Gina plötzlich beunruhigt aufhorchen ließ. Obwohl sich die Stewardess nach wie vor bewegte, konnte die junge Italienerin nichts hören – kein Rascheln des Kleides, kein Klicken der Absätze; nichts. Überaus nervös folgte Ginas Blick der Stewardess. Ihre Bewegungen waren seltsam marionettenhaft; fast so, als hätte sie sich lange nicht bewegt. Auch ihr Gang hatte etwas Eigenartiges; er war irgendwie … nicht menschlich! Dann, mit einem Mal, fielen Gina zwei Dinge gleichzeitig ein: Jedes Besatzungsmitglied, dem sie bisher begegnet waren, fiel durch ausgesprocheneFreundlichkeit auf – diese Stewardess hingegen, hatte noch nicht mal in ihre Richtung geblickt und – warum verteilte sie Handtücher? Der Ruheraum in der TITANICWORLD war eine Chill-Out-Zone ; hier gab’s Mokka und Gebäck, statt Dampfbad und Massage. Mit einem Ruck setzte sich Gina kerzengrade auf. Der Raum war plötzlich nicht mehr nur eiskalt; er fühlte sich klamm an. Sie fröstelte und schlang die Arme um sich. Wieder sah sie sich scheu um. Die Stewardess stand vor einer Liege gleich unter einem Bullauge. Die von den Gittern durchbrochenen Sonnenstrahlen fielen auf sie und zauberten ein unheimliches Schattenspiel auf ihr Gesicht und dennoch konnte Gina die Fahlheit der Haut deutlich erkennen. Für den Bruchteil einer Sekunde wandte die Stewardess ihr das Gesicht zu und Gina schrie leise auf. Die Wangen waren eingefallen, die Augen blickten stumpf und leblos. Ein eisiger Hauch, der nach Salzwasser und Eisbergen roch, wehte sanft, aber eindringlich zu dem Mädchen hinüber. Mit einem Anflug von Panik, sprang Gina auf. Sie riss ihre Handtasche an sich, ohne sich darum zu kümmern, dass ein Riemen die zierliche Mokkatasse von dem Tischchen fegte und sie laut klirrend am Boden zerschellte. Mit Beinen, die sich anfühlten als seien sie aus Blei gegossen, taumelte das Mädchen dem Ausgang zu. Plötzlich überkam sie eine schreckliche Angst, die Stewardess – oder was immer das auch war – könnte sie am Verlassen des Bades hindern. Gleich würde eine klamme, von hundert Jahren Seewasser aufgeschwemmte Hand sich um ihren Arm krallen und … Mit weit aufgerissenen Augen drehte sie sich panisch um und blieb abrupt stehen. Der Raum hinter ihr lag still und verlassen da. Mit einem leisen Aufschrei rannte Gina hinaus.
Als Philomena die Damentoilette verließ, sah sie zu ihrer Überraschung Gina am Fuß der Treppe stehen. Sofort fielen ihr die Blässe und die schreckensgeweiteten Augen auf, die immer wieder ängstlich in Richtung des Türkischen Bades blickten. Beunruhigt fragte sie: „Gina? Alles in Ordnung?“
Eine eiskalte Hand umschloss ihr Handgelenk und erschreckte sie maßlos. Doch es war der furchtsame Ausdruck im Gesicht ihrer Freundin, der Philiomena veranlasste, gleichfalls zum Eingang des Bades zu blicken. Die Türe war geschlossen; genau wie vor etwa einer Stunde, als sie hier angekommen waren. Aber jetzt wirkte der Anblick feindselig – auch wenn Philomena keine rationale Erklärung für dieses Gefühl finden konnte. Dennoch schien es ihr, als
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