TITANIC-WORLD
höchst persönlich unterschriebene Petition handelt, die die armen Mitglieder von 1.503 lost souls lebenslang hinter Gitter bringt, nur weil sie anderer Meinung als The Big Boss waren.“
Als Claire einige Zeit später in ihrem Büro saß, kamen ihr auf einmal Nathans Worte wieder in den Sinn. Sie konnte nicht nachvollziehen, warum sich ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann, ausgerechnet vom gemeinen Fußvolk so provozieren ließ. Wie Cecilia, so hielt auch sie die Reaktion für unangemessen, fast kindisch. Allerdings sah sie jetzt deutlich, warum Craig bei der kleinsten Kleinigkeit mit Kanonen auf Spatzen schoss. Unannehmlichkeiten und Hindernisse wurden rigoros aus der Welt geschafft – auch, wenn es sich um Menschen handelte. Plötzlich war sich Claire nicht mehr sicher, ob sie ihren obersten Chef überhaupt noch kennenlernen wollte.
Die beiden italienischen Mädchen, denen Claire begegnet war, lehnten an der Reling und sahen fasziniert zu, wie eines der Rettungsboote hinab gelassen wurde. Sie beobachteten, dass die wenigen Menschen abwechselnd, erst über den Bootsrand, dann wieder hinauf zu ihnen blickten. Als das Rettungsboot schließlich auf dem Atlantik aufsetzte, begann die vier Mann starke Besatzung gemächlich zum Ufer zu rudern. Freundliche Stewards, auf deren Uniformen der Name Carpathia eingestickt war, halfen den Schiffbrüchigen wieder an Land.
Philomena drehte sich zu ihrer Freundin um und sagte begeistert: „ Mamma mia . Was die sich hier alles einfallen lassen. Ich habe wirklich das Gefühl an Bord der TITANIC zu sein. Wenn wir die Erlebniswelt heute Abend verlassen, ist es bestimmt schon dunkel. Dann wirkt alles noch echter.“
Gina lächelte Philomena spitzbübisch an. „Ah, vielleicht lassen die uns gar nicht in ein Rettungsboot – wir reisen doch nur dritter Klasse.“ Sie zog ihr Ticket aus der Handtasche und schwenkte es vor den Augen ihrer Freundin hin und her. Die Eintrittskarten sahen zwar alle gleich aus, aber da sie in jedem Eingangsbereich von dem jeweiligen Zahlmeister abgestempelt wurden, konnte man sehen, in welcherKlasse man an Bord gegangen war. Auf dem unteren Abschnitt von Ginas Eintrittskarte stand deutlich zu lesen: Check in 17.04.2012, 9.28 am – Third Class .
„Ach, sei nicht albern“, antwortete Philomena augenzwinkernd. „Wir sind zwei hübsche junge Signorinas und finden bestimmt ein nettes Besatzungsmitglied, das uns hilft. Ich hab‘ dir doch die Geschichte von Minnie Coutts erzählt? Die, die mit ihren beiden kleinen Jungs sogar zweimal einen freundlichen Matrosen gefunden hat, der ihr behilflich war aufs Bootsdeck zu gelangen. Wir werden schon einen Platz im Rettungsboot ergattern, keine Sorge. – Aber was machen wir als nächstes?“
Gina überlegte einen Moment. Sie war ein kleines, zierliches Persönchen mit einem rabenschwarzen Lockengewirr und einem offenen Gesicht, dessen neugieriger Ausdruck ihr einen noch etwas kindlichen Anstrich gab, obwohl sie schon zwanzig war. Sie kannte Philomena seit der Grundschule und sie waren wirklich gute Freundinnen. Philomena, die auch klein, aber etwas rundlicher war, interessierte sich schon lange für die TITANIC und sie war ein großer Fan von Cecilia von Hochstett. Als sie gelesen hatte, dass in Southampton eine Erlebniswelt zum Thema TITANIC erbaut werden sollte, hatte sie ihre Freundin zu einem Ausflug dort hin überredet. Beide hatten knapp zwei Jahre gespart, um diese Englandreise zu finanzieren. Denn Gina, die sich weniger für die Geschichte des Luxusliners interessierte, hatte darauf bestanden, nach dieser Titanic-Exkursion für Fortgeschrittene – wie sie ihren Aufenthalt in Southampton nannte – die Hauptstadt des Landes zu besichtigen. Sie wollte bei Harrods einkaufen gehen, sich den Tower ansehen, bei Madame Tussaud die Wachfiguren bestaunen und über die Petticoat Lane schlendern. Also, hatten sie gespart, um sich einen angenehmen Urlaub in Southampton und London leisten zu können. Der Gedanke an die vielen Pfundnoten in ihrem Portemonnaie, ließ Gina zu einem Entschluss kommen. Sie sagte: „Lass‘ uns zuerst dem Türkischen Bad einen Besuch abstatten. Das hatten wir ja schon vor diesem erzwungenen Aufwärm-Aufenthalt an Deck geplant. Danach können wir entscheiden, ob wir im Souvenir-Shop ein paar von diesen funkelnagelneuen knisternden Pfundscheinchen ausgeben oder eine Kleinigkeit essen. Die Vorstellung in den Cyber-Dingern wurde auf neunzehn Uhr verschoben und es ist gerade mal kurz
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