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keinem Vorwand. Nur keine Gelehrten! Die Gelehrten sind in allen Ländern der Welt langweilig, in Italien aber bringen sie einen förmlich zur Verzweiflung. Also du hörst, liebe San Marco,« sagte sie, sich wieder umdrehend, »in Summa zehn oder höchstens zwölf Personen von meinen intimen Freunden.«
Dann führte sie mich nach der großen Treppe und hob wieder an: »Ich habe vertraute Freunde und der König hat die seinigen ebenfalls. Die letzteren sind allerdings nicht sehr zahlreich.« Wir gingen die Treppe hinunter. Ein Wagen erwartete uns im Hofe. Er war mit zwei Pferden bespannt und ohne andere Auszeichnung als ein F und ein B mit einer geschlossenen Krone darüber. Der Kutscher trug keine Livree. Die Königin und ich, wir waren die eine genau so gekleidet wie die andere. Ein Kleid von weißem Atlas, eine weiße Feder im Haar, ein blauer Kaschemir machten unsere ganze Toilette aus.
Der einzige Unterschied, der zwischen uns bestand, war der, daß die Königin goldblondes Haar hatte, während das meinige dunkelkastanienbraun war. Wir verließen den Palast und fuhren den sogenannten Riesenhügel und Santa Lucia hinab, an dem kleinen Palast Lhiatamone, einem der Lustschlösser des Königs vorüber, dann die Chiaja hinab und die Mergellina entlang bis zu der Ruine, die das Volk, welches großen Ausschweifungen oder großen Verbrechen allemal eine gewisse Popularität gibt, den Palast der Königin Johanna nennt, der aber in der Tat der Palast Anna Caraffas ist, welchen der Herzog von Medina Celi, ihr Gemahl, als er nach dem Sturze des Großherzogs Olivarez nach Spanien zurückgerufen ward, halb vollendet ließ und der heute noch so dasteht, wie er ihn gelassen. Um hierher zu gelangen, waren wir an einem Haus von ziemlich schönem Aussehen vorübergekommen, welches zu jener Zeit noch keine Nummer trug, denn die Häuser von Neapel wurden erst fünf oder sechs Jahre später numeriert. Als mir an diesem Hause vorbeikamen, streckte die Königin den Arm aus.
»Du siehst dieses Haus,« sagte sie.
»Ja, Majestät,« antwortete ich.
»Wohlan, dies ist das Fischhaus meines erhabenen Gemahls. Hier am Strande verkauft er die Fische, die er gefangen, und führt dabei eine Sprache, welche der seiner guten Freunde, der Lazzaroni, nichts nachgibt. Du hast wohl diesem Schauspiel noch niemals beigewohnt?«
»Nein, Majestät, auch wünsche ich es nicht.«
»Da tust du unrecht. Es würde dir das von der königlichen Majestät wahrscheinlich einen ganz anderen Begriff geben, als welchen du jetzt davon hast.« Und sie warf sich mit einer jener Gebärden von Ungeduld und Verachtung, die man nur, wenn sievon ihrem Gemahl sprach, an ihr bemerkte, in den Hintergrund ihres Wagens zurück. Es war die Stunde der Promenade. Es gab einen ungeheuren Zusammenfluß von Equipagen, welche der Gewohnheit gemäß bis zum äußersten Ende der Mergellina, dann zurück die Chiaja hinauf bis zur Kirche San Fernando, die Toledostraße entlang bis zum Mercatello fuhren und so, als ob sie dazu verdammt wären, immer wieder denselben Weg wiederholten. Es gibt in der Tat nur eine Promenade in Neapel, wenn man nämlich ein staubiges Pflaster und eine Straße, in welcher bei Tage fünfzig und während der Nacht dreißig Grad Hitze herrschen, eine Promenade nennen kann. Während der ganzen Promenade war der königliche Wagen Gegenstand der allgemeinen Neugier. Ich war in Neapel noch wenig bekannt, so daß diese einer fremden Person, einem neuen Gesicht erzeigte Ehre das Erstaunen eines jeden erweckte. Nur einige Hofdamen, welche sich wie auf einen elektrischen Schlag in ihren Wagen erhoben, riefen, die einen: »Lady Hamilton,« die andern: »Die englische Gesandtin!« Zwei oder drei riefen: »Emma Lyonna!« kurzweg und dies bewies unglücklicherweise, daß ich auch unter diesem Namen bekannt war. Wir kreuzten meinen alten Anbeter, den Bischof von Derry. Als er mich in dem Wagen der Königin erblickte, ward sein Gesicht durch einen Freudestrahl verklärt, aber er schien durchaus nicht erstaunt zu sein. Hätte er mich selbst zur rechten Hand der Juno oder zur linken der Minerva sitzen gesehen, so würde er gefunden haben, daß ich an meinem Platze sei, und auf alle diese Ausrufungen, alle diese Beweise von Erstaunen antwortete die Königin nur mit ihrem stolzen Lächeln, welches zu sagen schien:
»Warum nicht, wenn es mir so beliebt?«
Mit Einbruch des Abends kehrten wir wieder in den Palast zurück. Neben dem a giorno erleuchteten Speisezimmer, wo die
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