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haben Sie denn diesen Brief erhalten?« – »Heute morgen.« – »Vor wieviel Tagen ist er denn geschrieben worden?« – »Vor vier Tagen.« – »Am 1. Oktober. ... Er hat also an demselben Tage geschrieben, an dem jene jungen Leute verurteilt wurden!« – »O,« rief Karoline, indem sie die Hände rang, »das ist eine Strafe des Himmels!« – Die Heftigkeit ihrer Bewegung brachte den Verband der Ader in Unordnung, die schlecht geschlossene Öffnung sprang auf und ich sah einen Blutstrahl aus dem Arm der Königin spritzen und ihr Hemd rot färben. »O sehen Sie,« rief ich,« sehen Sie, Madame! Sie töten sie.« – Und von der Aufregung und dem Blutverlust erschöpft, erbleichte die Königin, stieß einen schwachen Seufzer aus und taumelte. Ich eilte noch zeitig genug herbei, um sie in meinen Armen aufzufangen. Sie war ohnmächtig geworden.
Die Prinzessin und ich, wir trugen sie auf ihr Bett. Ich drückte die Ader zusammen, wie ich es den Doktor hatte tun sehen, dann legte ich ein wenig Scharpie auf die Wunde, den Verband wieder darum und so gelang es mir, das Blut zu stillen, ehe die Kranke wieder zum Bewußtsein kam. Dann faltete ich die Hände und sagte zu der Fürstin: »Sie sehen, in welchem Zustand die Königin sich befindet. Zum Unglück kann sie nichts für den Fürsten tun. Nur Sie allein können etwas tun, Madame.« – »Was kann ich denn tun, mein Gott?« – »Madame, Sie können, ohne noch eine Minute zu zögern, nach Palermo reisen, den besten Arzt von Neapel mitnehmen und gegen das Verbrechen, welches uns alle in Trauer versetzt, an die Wissenschaft appellieren.« – »O, ich hoffte auf die Königin?« rief die arme Fürstin, indem sie einen Blick auf Karolinen warf. »O Gott, o Gott!« – »Die Königin kannIhnen nicht helfen, Madame, es müßte denn durch die Bestrafung des Verbrechens geschehen und auch das ist noch sehr zweifelhaft, denn Sie wissen selbst, daß der Schuldige oder die Schuldigen so hoch gestellt sind, daß die Strafe nie bis zu ihnen emporsteigen wird. Dann handelt es sich auch um das Leben des Fürsten und nicht um die Bestrafung seiner Mörder. Denken Sie daher an das Leben des Fürsten und seien Sie ruhig, denn wenn die Königin bestrafen kann, so wird sie es auch tun!« – »O, sie wird bestrafen! Glauben Sie, daß Sie es tun wird?« – »Ja, sie bedarf aber dazu ihres ganzen Verstandes, ihrer ganzen Kraft und Macht. Lassen Sie daher das Delirium schwinden, das Fieber sich beruhigen, gehen Sie dahin, wo nicht allein Ihre Liebe, sondern Ihre Pflicht Sie ruft, retten Sie den Fürsten, wenn noch Rettung möglich, hören Sie seinen letzten Seufzer, wenn es zu spät ist, ihn zu retten, stehen Sie ihm sanft und helfend in seinem Todeskampfe zur Seite, sagen Sie ihm – denn da er keine andere Trösterin als Sie hat, so müssen Sie es ihm sagen – sagen Sie ihm, daß die Königin ihn stets und in Wirklichkeit nur ihn geliebt hat. Sie sind das zweien Herzen schuldig, die soviel gelitten und die, wie ich weiß, niemanden als Sie zur Vermittlerin, Vertrauten und Freundin gehabt haben.« – »Es ist gut,« rief die Fürstin. »Ich werde tun, was Sie mir raten, Madame, und wenn der Fürst durch die Wissenschaft eines Mannes und die Hingebung eines Weibes gerettet werden kann, so wird es geschehen. Ich danke Ihnen. Wenn er stirbt, so sagen Sie der Königin, daß ich ihr das Werk unserer Rache überlasse?«
Sie kniete neben dem Bett nieder, küßte die Hand der Königin, sendete mir mit Hand und Mund ein letztes Lebewohl und eilte aus dem Gemach. Die Ohnmacht der Königin war eine Wohltat der Vorsehung, denn ohne diese Ohnmacht wäre Karoline, in der Gemütsverfassung, worin sie sich befand, ohne Zweifel wahnsinnig geworden oder von einer Gehirnentzündung befallen worden.
Ich ging hinter der Fürstin hinaus, um den Dienstleuten zu befehlen, daß sie, im Fall sie von der Königin selbst gefragt würden, kein Wort von dem Besuch der Fürstin Caramanico sagen sollten; dann kehrte ich zur Königin zurück und da ich die Rückkehr derselben zur Besinnung nicht zu fürchten brauchte, weil die Fürstin fort war, so rieb ich Karoline die Schläfe mit kaltem Wasser und ließ sie Salze einatmen. Nach einigen Minuten öffnete sie die Augen, der Ausdruck derselben war aber so verstört, daß ich leichtsah, daß das Delirium der Nacht sie wieder befallen hatte. Für den Augenblick war dies das glücklichste, was es geben konnte. Zwar nannte Karoline im Delirium mehrmals den Namen
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