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Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie

Titel: Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Altaras
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in der Berliner Szene. Bis dato war ich zuständig gewesen für südländischen Charme, italienische Lebensfreude, Ausländerinnen aller Couleurs. Und fürs Putzen, versteht sich. Jetzt war ich plötzlich the second generation in Person. Flößte Respekt ein, löste gleichzeitig Unbehagen aus. Ich wurde Kandidatin für Talkshows. In der Woche der Brüderlichkeit und um den 9. November herum stand mein Telefon nicht mehr still. Ich war von öffentlichem Interesse. Mit Biolek erörterte ich den Zionismus und Ben Gurions Kochkünste, bei Frau Christiansen durfte ich mit dem israelischen Botschafter und dem deutschen Innenminister über Normalität in Israel sprechen. Normalität in Israel!
    »Was kümmerst du dich denn um diese zweite Generation? Wir haben dich doch wirklich nicht belastet. So vielGeld für diese albernen Therapien«, war der einzige Kommentar meiner Mutter zu alldem.
    Das Goethe-Institut schickte mich auf Reisen, ich war deutsches Exportgut. So spielte ich »Jonteff« in Brasiliens Porto Alegre vor lauter emigrierten Juden, denen ich zu deutschfreundlich war, und in Budapest vor Antisemiten, die noch während der Veranstaltung begannen, die anwesenden Juden zu beschimpfen.
    Die Therapeutin war zufrieden und erklärte die Therapie für beendet und geglückt. Ich war mir da nicht so sicher, denn von nun an ließen mich jüdische Themen nicht mehr los. Ich arbeitete mich vehement an ihnen ab, suchte nach dem Wie und dem Warum, als würde es mir das Geschehene irgendwie erklären. Als ich den Beruf der Schauspielerin gegen den der Regisseurin eintauschte, wurde es besser. Es war mir lieber zu besetzen, als besetzt zu werden – siehe Polen.

[Menü]
    trauer to go
    Florentine ist die schönste Dramaturgin, die mir je begegnet ist. Weder Lesen noch Kopieren haben ihr geschadet. Tine ist groß, ihre hohen Wangenknochen geben ihr ein slawisches Aussehen. Um ihren Hals baumeln unzählige Ketten, die Blusen sind nie sonderlich hoch geschlossen, und die Anhänger verfangen sich im Busen. Das wirkt keineswegs ordinär, eher verspielt, und vermittelt den Eindruck von Überfluss. Jedenfalls gibt sie den Dramaturgie-Sitzungen am Montagmorgen um 9.30 Uhr im Maxim-Gorki-Theater etwas angenehm Lebendiges, Unintellektuelles.
    Tine kommt aus der Ostberliner Elite, ihr Vater war ein berühmter Sportreporter. Sie selbst war im Schwimmkader mit Franziska van Almsick. Irgendwann gingen ihr Pankow, die Schwimmhalle in der Wuhlheide und der gesamte Osten wohl derart auf die Nerven, dass sie gegen den Willen der Familie einen Heirats-Ausreiseantrag stellte. Sie landete in Basel und begann lange vor dem Mauerfall den Westen kennenzulernen. Sie diskutiert nicht kleinlich die Ost-West-Thematik, lebt beherzt zwischen allen Stühlen und ist mir darum besonders sympathisch. Sie hat einen anarchischen Humor, der nicht zu zügeln ist.
    Tine erreicht mich auf meinem Handy beim Einparken in der Leibnizstraße. Ich bin alles andere als virtuos beim Einparken, es nieselt noch dazu.
    »Das Mahnmal!«, sagt sie. »Das Mahnmal ist doch einSuperthema, findest du nicht, meine Zuckerschnecke?« – »Bitte, was!?« – Und sie wiederholt: »Das Mahnmal! Findest du nicht, dass das ein Superthema ist?« – »Tine, du meinst sicherlich das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas?! Was soll daran ein Superthema sein? Ich war immer dagegen …«
    Ich stoße vorne und hinten an, an diese modernen Autos, die anscheinend keine Stoßstangen mehr haben. Tine kichert am anderen Ende: »Verordnete Trauer! Das ist doch ein Witz, oder?« Sie ist außer sich. Ich habe es inzwischen aufgegeben, annähernd korrekt einzuparken. Bei Tine bin ich mir sicher: Sie ist frei von Antisemitismus und vor allem von Philosemitismus. Aber sind es auch das Theater, der Intendant, das Publikum?
    Möglichst ruhig gebe ich zu bedenken: »Du weißt: sehr kompliziert, das Ganze! Ein Fettnäpfchen mit nationalen Ausmaßen! Und warum muss gerade ich da reintreten? Nein, nein, das überfordert mich.«
    Sie sagt: »Zwölf Uhr im Carpe Diem . Bis gleich.« Ich sage: »Na gut!«, und fahre den Wagen seidenweich in die Parklücke.
    Sie sieht wie immer blendend aus, wir sprechen nicht viel und grinsen uns an. Ich schaufele die Sahne von meinem Cappuccino. »Zwanzig Jahre nach der Wende, und sie können immer noch keinen Cappuccino machen. Lass uns gehen.«
    Schließlich bezahlen wir, und ich sage beiläufig: »Ich mach’s!« Noch immer regnet es. Wir ziehen unsere Sandalen aus und

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