TKKG 073 - Hilflos in eisiger Nacht
Zusammentreffen mit Hugo Wuttke, seinem ehemaligen Chef, im Zug.
"...dieses Angebot! Stell dir vor! Ausgerechnet der kommt auf mich zu. Ich soll seinen Laden warm abreißen. In die Luft jagen. Ich, ausgerechnet ich soll ihm, diesem Mistkerl, einen Gefallen tun. Tue ich, tue ich! Aber danach - sobald er von der Versicherung das Geld hat - nehmen wir ihn aus. Du bist doch dabei, Kurt?"
Selbig nickte. "Dabei immer."
"Morgen Nachmittag mache ich's."
"Hast du dein TNT schon ausgebuddelt?"
"Habe ich. Letzte Nacht. In dem Wald draußen bei der Internatsschule. Habe auch gleich eine kleine Probesprengung gemacht. Hatte nämlich das Gefühl,
mein Zeug wäre verrottet. Ist es aber nicht. Alles funktioniert wie geschmiert. Mit der Dosierung habe ich mich allerdings vertan. War zuviel. Der Wald hat gezittert, die Felsbrocken flogen, und im Boden ist jetzt ein Krater wie... wie auf dem Mars.
Hähäh!"
Selbig nickte und zog sich eine Schinkensehne aus den Zähnen. Sie wurde immer länger.
Unappetitlich! Aber beider Befindlichkeit war noch auf Gefängnis-Niveau, also störte es keinen.
"Ich habe auch eine Neuigkeit", erklärte Selbig und holte einen Brief aus dem Geschirrschrank.
"Robert Paulmann hat ihn mir geschickt."
"Der Sprengmeister, von dem du erzählt hast?"
Selbig nickte. "Er ist tot."
"So plötzlich?"
"Plötzlich ja. Aber er ist schon seit zwei Monaten tot. Unfall. Bombe. Peng! Und aus."
"Schlimm. Was ist mit dem Brief?"
"Ich lese vor."
Selbig rieb sich erst die fettigen Finger am Taschentuch ab, entfaltete dann den Brief.
"Hallo, Kurt Selbig!" las Gaulgesicht vor. "Ich hoffe, dass dieser Brief Sie erreicht. Ich habe ihn vor geraumer Zeit verfasst - für den Fall meines Todes. Dann wird meine Nichte Martina den Brief zu Ihnen expedieren. Ich will nämlich mein Gewissen erleichtern. Zu Lebzeiten kann ich das nicht, wie Sie gleich erfahren werden. Aber nach meinem Tode, wenn ich irdischer Gerechtigkeit entzogen bin, sollen Sie alles erfahren. Seit Jahren lastet diese Sache auf mir. Denn ich bin Mitwisser am Tode Ihrer
Frau. Ich war dabei, als sie überfahren wurde. Es war in der Kurve am Wäldchen. Mein Kollege Volker Sommer saß am Lenkrad, und rückblickend glaube ich, es hat ihm Spaß gemacht, Ihre Frau zu töten. Sicherlich - er war damals noch sehr jung, gerade mal 26. Er war noch nicht Sprengmeister wie heute. Und er war auch noch nicht mit meiner Nichte Martina verlobt. Aber er hat sich verhalten wie ein gewissenloser Lump. Es war aufschlussreich in Bezug auf seinen Charakter. Und ich schäme mich, dass ich damals geschwiegen habe. Aber ich war ihm verpflichtet wegen einer Sache, über die ich nicht reden will. Deshalb saß ich in der Klemme. Ich erinnere mich noch genau. Es war November, der Abend dunkel, wir hatten getrunken. Volker Sommer fuhr schnell und hielt mit Vollgas zu auf die Gestalt im Scheinwerferlicht. Dann lag Ihre Frau da - tot. Und Sommer ist weitergerast. Es tut mir leid. Ihr - Robert Paulmann."
Selbig ließ den Brief sinken und grinste.
Jumbo Körner staunte. "Wusste gar nicht, dass deine Frau bei einem Unfall verschieden ist."
Gaulgesicht nickte. "Stimmt. Habe nie darüber gesprochen."
"Du sagtest, sie sei ein Miststück gewesen."
"Und was für eins! Einmal war sie dicht dran, mich bei den Bullen zu verzinken."
"Ich hätte sie umgebracht."
Selbig grinste noch fröhlicher. "Das habe ich mir auch gesagt. Und ich habe es getan."
"Was?" Jumbo Körner deutete auf den Brief. "Aber Paulmann schreibt doch..."
"Ist alles nicht wahr", wurde er von Selbig unterbrochen. "Ich selbst war's. Ich habe das Miststück überfahren. Tödlich. Sie wollte zur Polizei. Sie hatte plötzlich herausgefunden, womit ich mein Geld mache. Diese Kuh! Ich musste handeln. War Notwehr. Reine Notwehr! Das siehst du doch auch so?
Robert Paulmann kam dazu - an jenem Abend im November. Er kam ganz zufällig vorbei. Ein Zeuge, hah! Ich habe ihm alles erklärt, denn rausreden konnte ich mich nicht. Er hatte genau gesehen, wie ich Florentine gejagt habe - mit dem Wagen quer über die Straße im Wäldchen. Paulmann und ich - wir kannten uns ja. Wir vertrugen uns. Er hatte Verständnis. Und hat mich nicht angezeigt. Ich stehe bis heute in seiner Schuld. Verstehst du?"
Körner nickte. "Aber ich verstehe nicht alles. Wieso schreibt er dann diesen Unsinn?"
"Es ist kein Unsinn. Falls ich Pech habe und auffliege mit dem Coup, dem bestimmten Coup, den ich jetzt machen werde - dann wird dieser Brief mich entlasten.
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