TKKG 073 - Hilflos in eisiger Nacht
glaube nicht, sie wirkt völlig unverkrampft. Gehen wir nicht gleich vom Übelsten aus.
Unterstellen wir mal, dass sich Robert Paulmann im Griff hatte - egal, was hinter seiner Stirn vorging."
Martina kam mit dem Geschirr zurück. "Ostfriesentee habe ich aufgebrüht. Nehmt ihr ihn mit Sahne?
An kalten Wintertagen liebe ich ihn so."
Die Teenies erklärten, dass sie ihn genauso mögen. Aber Gaby entschloss sich dann doch zu einem dicken Brocken brauner Süßung, nämlich zu Kandiszucker.
"Tja", sagte Tim, nachdem sie alle getrunken hatten, "wie Sie sich denken können, Martina, habe ich Gabys Auftrag - die Nachforschung für das Thema arglose Verfolgung - sehr ernst genommen und noch ein bisschen gestochert. Sie sagten mir gestern, dass Sie über diesen Herrn Selbig eigentlich nichts wissen."
Martina nickte. "Ich war erst 17, als wir dort wegzogen."
"Selbig ist vorbestraft."
Sie machte große Augen. "Geringfügig? Oder..."
"Er saß mehrere Jahre im Gefängnis. Wegen Raubüberfalls. Gaby hat sich bei ihrem Vater erkundigt.
Er ist, wie ich Ihnen schon sagte, Kriminalkommissar. Dieser Selbig war oder ist ein schwerer Junge.
Ein Profi, könnte man sagen. Also einer, der sich von Berufs wegen mit Verbrechen durchs Leben kriminalisiert."
"Um Himmels willen!" Sie verschüttete etwas von ihrem Tee.
"Ja", nickte Tim. "Und da fragt man sich doch: Wieso schickt Ihr Onkel so einem Typ einen Brief.
Und das auch noch postum, nach dem Ableben."
"Ich... weiß es nicht."
"Selbig wurde erst Anfang Dezember aus der Haft entlassen."
"Nach fast vier Jahren gesiebter Luft", fügte Gaby hinzu.
Martina rührte so aufgeregt in ihrer Tasse, als sollte Creme werden aus dem Tee. "Also, ich kann nichts dazu sagen. Ich bin völlig ahnungslos. Mir ist auch nicht aufgefallen, dass irgendeine Verbindung bestand zwischen meinem Onkel und diesem... Halt! Doch! Ja! Sie haben sich manchmal getroffen. So stammtischhaft zum Bier. Aber das liegt Jahre zurück. Mindestens vier Jahre."
"Logo", sagte Tim. "Bier und Stammtischabende im Knast sind offiziell noch nicht eingeführt.
Obwohl das bestimmt eines Tages noch gefordert wird im Zuge der Straf -vollzugs-Liberalisierung (freier Strafvollzug ohne Einschränkungen). Damit das Einsitzen immer vergnüglicher wird."
Martina lächelte gequält. Die menschliche Nähe ihres Onkels zu Selbig war ihr offenbar rätselhaft und als
Information eher peinlich.
"Wir wollen nicht damit sagen", meinte Gaby, "dass Ihr Onkel etwa in irgendwas verwickelt war."
"Das war er bestimmt nicht", entgegnete Martina. Aber sie sagte es ohne Nachdruck, sogar mit einer gewissen Gleichgültigkeit.
"Sie", Tim setzte seine Tasse ab, in der zwei kleine Teeblätter schwammen, "haben sich ja sehr gut mit ihm verstanden."
"Habe ich."
"Aber Sie sagten auch, es wäre nicht ganz einfach mit ihm gewesen."
"Ja. In gewisser Weise. Weil... Also, ich kann das schlecht ausdrücken. Es war... Onkel Robert hat mich sehr gern gehabt. Er hat mich vergöttert. Ich war sein ein und alles. Und irgendwie hat er mich wie einen Besitz betrachtet. Nicht, dass er mir zu nahe getreten wäre. Nein, so nicht. Aber er war... eifersüchtig.
Eifersüchtig auf jeden, der sich mir näherte. Als Teenager hatte ich darunter zu leiden. Ganz schlimm! Er hat jeden meiner Freunde vergrault. Keiner war gut genug. Ich durfte nicht ausgehen. Und wenn ich bei einer Freundin war, hat er mich abends abgeholt. Einmal kam er dazu, als mich ein Junge küsste. Ich dachte, er bringt den armen Michael um. Der wusste nicht, wie ihm geschah. So hat es Ohrfeigen gehagelt.
Wir hatten dann einen schrecklichen Streit. Ich wollte ausziehen. Aber ich hatte kein Geld und wollte nicht angewiesen sein auf Freunde. Onkel Robert hat mich dann beschwichtigt. Wir haben uns wieder vertragen.
Aber er hat mich auch weiterhin behütet wie ein Drache die Prinzessin. Eigentlich hat er mir dadurch meine Teenager-Jahre verdorben. Eine spinnige Idee steckte wohl dahinter. Als er mir das sagte vor etwa
einem Jahr, hat es mich geschaudert."
"Nämlich?" fragte Gaby.
"Er hat es im Scherz gesagt. Aber ich wusste, dass nicht nur ein Körnchen Wahrheit darin steckt, sondern dass es die ganze Wahrheit ist. Er sagte - so nebenhin und wie als Witz -, er hätte ja immer gehofft, dass ich mal seine Frau werde."
Gaby verzog das Gesicht. Tim nickte bedeutungsvoll.
"Und was haben Sie darauf erwidert?" forschte Gaby.
"Damals war ich bereits mit Volker Sommer zusammen. Aber heimlich. Onkel Robert
Weitere Kostenlose Bücher