TKKG 073 - Hilflos in eisiger Nacht
Es ist alles gelogen, aber es hat seinen Sinn. So haben wir's vereinbart. Schon damals, als er mich im Gefängnis besucht hat."
"Hat er das?"
"Er hat."
"Und bei welchem Coup", fragte Jumbo Körner, "soll dich dieser Schrieb notfalls entlasten?"
"Bei dem, was ich vorhabe mit Volker Sommer."
"Ach?"
"Ja, ich bin's Robert Paulmann schuldig. Deshalb mache ich's."
"Nämlich?"
"Es geht um Rache. Um Rache über den Tod hinaus."
"Verstehe ich richtig: Robert Paulmann will sich an Volker Sommer rächen? Und du machst es. Du bist das Werkzeug."
Selbig nickte und schnitt sich ein Stück vom Schinken ab. Die dicke Scheibe war sehnenfrei. Selbig begann mit den linken Zähnen zu kauen und sprach - etwas undeutlich - aus dem rechten Mundwinkel.
"Ich bin das Werkzeug. Ich mache den Job."
"Rache wofür?"
"Robert - wir waren natürlich per du, nur hier im Brief siezt er mich wegen des richtigen Eindrucks - Robert wurde ganz schändlich von Volker Sommer im Stich gelassen. Es war bei einem Einsatz im eisigen Winter - irgendwo draußen in der Pampa, wo sich keine Sau aufhält. Die beiden waren dort allein, erzählte mir Robert, um irgendwelche Munitionsvorräte sicherzustellen. Damals war Sommer schon scharf auf Roberts Position, muss ich vorausschicken. Jedenfalls verrenkte sich Robert das Rückgrat; und Sommer, der mit seinem Jeep schon ein Stück voraus war in anbrechender Nacht, der Sommer tat so, als bemerke er nichts, fuhr weg und gleich heim. Während Robert hilflos draußen auf dem Feld lag - neben seinem abgeschlossenen Wagen. Den Schlüssel aber hatte Sommer heimlich beseitigt. Robert wäre fast umgekommen, war völlig hilflos in dieser eisigen Nacht. Er konnte sich nicht rühren. Lähmung infolge Bandscheibenvorfalls. Sein Rufen wurde von niemandem gehört. Um Mitternacht verlor er das Bewusstsein. Gegen zwei Uhr morgens war er gefährlich unterkühlt. Er wäre gestorben. Aber dann kam zufällig ein Jäger vorbei, und das war die Rettung."
"Kaum zu glauben."
"Robert konnte Sommer nichts beweisen. Der tat völlig zerknirscht und spielte den netten Kollegen.
Aber Robert hatte ihn durchschaut und kannte die Wahrheit. Und jetzt bin am Zug. Dem Herrn Sommer wird es genauso ergehen. Er wird wimmern und schreien - wenn er hilflos ist in eisiger Nacht."
"Mann, Kurt!" staunte Körner. "Was hast du vor?"
Vergötterte Nichte
Martina Paulmann hatte gebadet. Und duftete nach Lavendel. Tim stellte es über die Nase fest. Auch Gaby hatte es registriert, und die beiden grinsten sich für eine Sekunde an.
Martina war beim Frühstück und trug einen mummeligen Hausanzug in einer Farbe, die ihr nicht stand.
Später, im Verlauf des Gesprächs, erklärte sie, es sei ein Geschenk ihres Verlobten Volker Sommer, und das TKKG-Pärchen bewunderte die Zweckmäßigkeit dieser Bekleidung.
Sie hatten sich entschuldigt für die Störung, und Tim sagte, er hätte gern noch etwas mehr gewusst bezüglich des überbrachten Briefs und der Persönlichkeit des Herrn Kurt Selbig. Denn es gehe ja um den Artikel für den Kulturteil der Schülerzeitung, für den BS-OBSERVER.
Martina bat die beiden herein.
Eine Essecke im Wohnraum. Alles war gemütlich. Und etwas kleinbürgerlich. Auf einer Vitrine standen gerahmte Fotos. Etliche zeigten denselben Mann - immer mit Martina. Martina ca. zehnjährig, zwölfjährig, als Sechzehnjährige und in der jetzigen Reife, also als hübsche junge Frau von 22.
"Ihr Onkel?" fragte Tim.
"Ja, das ist Onkel Robert."
Tim hätte gern was Nettes gesagt, verkniff es sich aber, denn es wäre gelogen gewesen.
Tut mir leid, dachte der TKKG-Häuptling, auch wenn du tot bist, Robert Paulmann - sympathischer wirst du dadurch nicht. Du hast ein böses Gesicht. Jedenfalls nach meinem Empfinden.
Gaby stimmte offensichtlich überein mit ihrem Freund,
zischelte nämlich nur Unverbindliches durch ihre RosenBlattrippen - was man so oder so auslegen konnte. Robert Paulmann war ein untersetzter Brocken gewesen mit fleischigen Zügen, schweren Lippen und kleinen Augen. Er hatte Haare gehabt, aber sie fielen nicht auf. Zu dünn, zu ferkelblond. Auf jedem Foto war der Blick auf Martina gerichtet - in einer besitzergreifenden und - wie es Tim schien - sogar gierigen Weise.
Martina holte noch zwei Tassen aus der Küche.
"Der starrt seine Nichte an", flüsterte Gaby, "als wollte er sie fressen."
"Stimmt."
"Vor so einem Onkel würde ich mich fürchten."
"Da pflichte ich dir bei."
"Ob er sie belästigt oder gar... "
"Ich
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