Tochter der Insel - Historischer Roman
lässt sich nicht mehr so leicht verpflanzen und auch einige junge Schösslinge wollen nicht fort. Wir werden trotz aller Gefahren hierbleiben.«
»Wann wird der neue Leuchtturm gebaut?«
»Bald. Es sind schon Ingenieure angekommen und ein Geograf namens Bertram aus Berlin, der die Dünen ausmessen soll. Es geht wohl um die Höhe des Turms. Dieser Bertram entwirft auch eine Linie für die Fahrt der Schiffe und zeichnet Karten.«
»Ihr dürft also nicht im Osten siedeln.« Kaspar Steinberg war immer noch bei ihren vorherigen Ausführungen. Er legte einen Finger an die Lippen; Lea hätte zu gerne gewusst, was hinter seiner Stirn vorging.
Schließlich hielt der Kutscher vor Hiskes Haus und sie stiegen aus. Hiske öffnete ihre Gartenpforte und lud Lea und Kaspar mit einer Handbewegung ein, ihr zu folgen. Ihr Haus war von der Sturmflut verschont geblieben und hatte sich kein bisschen verändert. Dankbar blickte Lea auf die hellen Lehmwände, die winzigen, mit Blei verglasten Fenster, die braunen Türen und das Strohdach. Hiske führte sie in ihre Wohnstube, in der es immer etwas muffig und nach Rauch roch. Die Teppiche waren abgetreten und die Vorhänge zerschlissen. Von draußen klang das Gackern von Hühnern und das Meckern einer Ziege zu ihnen herein.
Die alte Frau wies auf die beiden Stühle mit dem Strandhafergeflecht. Sie selbst nahm auf einer Bank Platz.
»So, und nun werde ich uns eine gute Tasse Tee ansetzen und dabei können wir alles Weitere in Ruhe besprechen. Weißt du, Lea, ich bin so glücklich, dich zu sehen. Alle waren erschüttert damals, als du so einfach auf und davon bist. Und ich habe mir manchen Vorwurf anhören müssen.«
»Das tut mir leid.«
»Ich habe immer gesagt: In Amerika wartet Rebekka auf sie. Gut, dass ich es nicht besser wusste. Die Hofrätin hat sich furchtbar aufgeregt, auch über diesen schrecklichen Menschen, der sich plötzlich im Haus deiner Großmutter breitmachte. Aber davon habe ich dir ja schon geschrieben. Wir dachten, dass der Kerl nach der Sturmflut endlich die Segel streicht, doch stattdessen reißt dieser Bursche nun alles an sich, was von der Pracht unseres Seebades übrig geblieben ist.«
Nachdenklich musterte sie die Teetasse in ihrer Hand. »Er ist wie Katzengold, wisst ihr. Man darf ihm nicht trauen. Mit seiner Honigstimme lullt er die Menschen ein. Sogar der Großherzog ist auf ihn hereingefallen.«
Nicht nur er, dachte Lea und warf ihrem Großvater einen bedeutungsvollen Blick zu. Sie hatten sich gestern in Bremen mit Herrn Krummrat getroffen und dieser hatte sie zur Verschwiegenheit verpflichtet.
»Wir haben ihn bald, doch Gärber soll nicht im letzten Augenblick noch Lunte riechen und fliehen! Wir sammeln jetzt schon seit Monaten Material gegen ihn. Erst vor Kurzem bin ich einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Einer seiner Vertrauten, ein Geldeintreiber, hat mir Zusammenarbeit zugesichert. Er will Beweise für Gärbers Schuld am Tod zweier Kundinnen liefern.«
Um von Gärber abzulenken, stellte Lea eine Frage, die ihr seit ihrer Ankunft auf dem Herzen lag: »Wo ist Immo eigentlich?«
»Ich wäre noch auf ihn zu sprechen gekommen, denn er schickt herzliche Grüße. Er ist in verschiedenen Angelegenheiten auf dem Festland unterwegs. Immo hofft, die Regentschaft zu der Einsicht bringen zu können, dass die Stelle eines Schulmeisters auf der Insel erhalten bleiben muss. Seine Eltern sind nach Horumersiel gezogen, doch Immo will nicht von hier fort.«
»Glaubst du, dass er Erfolg haben wird?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht kann er die Herrschaften überzeugen. Morgen werden wir es erfahren, dann kommt er zurück. Ich denke, sein erster Weg wird zu dir führen. Zumindest hat er so etwas angedeutet. Übrigens ist Immo einer der wenigen, die nicht für Gärber arbeiten. Statt Dienste für ihn zu übernehmen und die Seebadeanlagen wiederherzurichten, hat er das Haus seiner Eltern neu aufgebaut. Dort wohnt er jetzt ganz alleine.«
Wie immer, wenn sie an ihr Wiedersehen mit Immo dachte, stiegen verwirrende und beunruhigende Gefühle in Lea auf. Stand immer noch ihre letzte Begegnung in den Dünen zwischen ihnen, als sie ihm ihre Liebe anvertraut und er sie abgewiesen hatte?
3
L ea hatte schlecht geschlafen. Vielleicht war es die Anspannung vor dem Wiedersehen mit Immo, die ihr so sehr zu schaffen machte, oder die lange Reise und all die widersprüchlichen Gefühle, die Wangerooge in ihr auslösten.
Großvater war mit Hiske nach dem Frühstück ins
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