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Tochter der Insel - Historischer Roman

Tochter der Insel - Historischer Roman

Titel: Tochter der Insel - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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Aufmerksamkeit auf ihre Heimkehr richten. Die Insel, die vertrauten und so lang vermissten Gerüche und Geräusche.
    Das Echo der Sturmflut schien immer noch in der Luft zu liegen. Oder schwebte es nur durch ihren Sinn? Das Rauschen der Wellen war wie eine Mahnung, dass die Elemente jederzeit wieder toben könnten. Lea sah zu dem Inselgras, das in einem Augenblick im Wind tanzte und im nächsten von einer Böe zu Boden gedrückt wurde. Das Meer war wie zu allen Zeiten unberechenbar. Aber gerade darin lag ja auch seine Faszination.
    Es ging ein frischer Wind, der die Hitze erträglicher machte. Er peitschte die Wellen und zerstäubte sie zu einem feinen Sprühnebel, der zu ihnen herüberwehte. Lea füllte ihre Lungen mit der salzigen Luft und nahm alles mit jeder Faser auf. In den letzten Monaten hatte sie nur an Wangerooge zu denken brauchen – und in ihr erwachte eine so große Sehnsucht, dass sie meinte, keinen Tag länger in Italien bleiben zu können. Es war schön gewesen dort, aber nach Wangerooge hatte sie Heimweh.
    In ihren Träumen war sie am Meer spazieren gegangen, an der Brandung, das Gesicht im Wind. Jede Welle, die über ihre Füße geschwappt war, hatte einen kleinen Freudenschrei ausgelöst. Lea war so leicht zumute gewesen, sie hätte bis ans Ende der Welt laufen können. Das Glücksgefühl aus ihren Träumen ergriff auch jetzt wieder Besitz von ihr. Lea blickte über das Meer. Das Sonnenlicht warf Glanzpunkte auf die Wellen und verzauberte die Dünen, die von reinem Weiß zu sein schienen. Wie schön würde es erst sein, wieder einen Sonnenuntergang zu beobachten, wenn die glühende rote Kugel versank, während Dunkelheit sich über Strand und Dünen legte.
    Lea fühlte sich matt und erschöpft von der Reise, aber gleichzeitig auch wach und angespannt. Sie war wieder zu Hause! Ein unbeschreibliches Gefühl von Leichtigkeit erfasste sie.
    Ein Ruf ließ sie jäh aus ihren Träumerein hochfahren. Als sie den Kopf umdrehte, erkannte sie den Kutscher Heye Harms, der sie mit einer Handbewegung in sein Gefährt einlud.
    »Kommt jetzt!« Hiske griff trotz Kaspar Steinbergs Einwänden nach Leas Koffer.
    Während die Kutsche der Ansiedlung entgegenschaukelte, stob ein Schwarm Seevögel auf und verlor sich rasch wieder am Himmel. Als sie den Dünenwall passiert hatten, breitete sich das Dorf vor Lea aus.
    Auf einen Blick erkannte sie die Verheerungen, von denen Hiske geschrieben hatte. Der Anblick schnürte ihr die Kehle zu. Ihre Augen suchten und fanden das Haus, in dem sie und Rebekka ihre Kindheit verbracht hatten. Nur noch die Wände waren übrig geblieben. Der Schornstein und ein großer Teil des Ziegeldaches fehlten. Dort, wo ehemals die hohen Schiebefenster gewesen waren, klafften jetzt Löcher wie tote Augen. Die Türen hingen aus den Angeln und den Gemüsegarten gab es nicht mehr.
    Sie spürte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Urplötzlich verflog ihr Gefühl der Leichtigkeit, die Freude über die Heimkehr. Sie hatte sich etwas vorgemacht. Die Insel aus ihren Träumen gab es nicht mehr. Vielleicht war es falsch gewesen, nach Wangerooge zurückzukehren. Tränen stiegen ihr in die Augen. Die Insel hatte sich verändert, genau wie sie. Lea hatte geglaubt, durch ein unlösbares Band mit Wangerooge verbunden zu sein, doch jetzt begann sie sich zu fragen, was, um alles in der Welt, sie nur hier wollte.
    »Ist alles in Ordnung?« Hiske berührte sacht ihren Arm.
    Lea holte zitternd Atem. »Es ist nur der Anblick.«
    Die alte Frau nickte mit trauriger Miene. »Wir haben als Erstes die verbliebenen Gebäude der herrschaftlichen Badeanstalt für die Gäste wieder in Schuss bringen müssen. Schließlich sichern sie uns das tägliche Brot. Vor Kurzem erst waren der junge Erbgroßherzog von Sachsen-Weimar mit Gefolge hier sowie einige Offiziere des neuen preußischen Kriegshafens an der Jade.«
    »Hat die Regierung die Schäden schon in Augenschein genommen?«, fragte Leas Großvater.
    »Ja. Im Frühjahr ist eine Delegation aus Oldenburg gekommen. Die Herren haben beschlossen, dass nicht hier, sondern im Südosten der Insel ein neuer Leuchtturm erbaut werden soll.«
    Kaspar Steinberg runzelte die Stirn. »Und was ist mit euch? Warum baut ihr eure Häuser nicht auch dort wieder auf? Es ist doch hier im Dorf nicht mehr sicher.«
    »Es ist uns nicht erlaubt, dort zu siedeln. Die Regierung hält die Insel für unbewohnbar und will uns aufs Festland schicken.« Hiske seufzte tief auf. »Aber ein alter Baum

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