Tochter der Insel - Historischer Roman
werde nicht immer so mittellos sein wie heute. Es gibt schulfreie Zeiten. Wir könnten reisen, zum Einkaufen in die Städte fahren, Freunde besuchen … «
»Du meinst Geld? Du glaubst doch nicht etwa, ich lehne deinen Heiratsantrag ab, weil du kein Geld hast? Wie kannst du nur so etwas von mir denken?«
»Carlotta, ich liebe dich! Bitte verlass mich nicht.«
»Es tut mir leid!«
Sie hatte sich umgedreht und war davongelaufen. Als er sie schließlich in ihrem Zimmer im Logierhaus aufsuchte, waren Carlottas Koffer schon gepackt. Sie hatten lange miteinander gesprochen, aber Carlotta ließ sich nicht mehr umstimmen.
»Das habe ich nicht gewollt«, war alles, was er beim Abschied herausbrachte.
Und jetzt stand Immo am Strand, versunken in seine Trauer. Er wünschte sich Lea herbei. Sie würde ihn verstehen.
Und dann, als habe seine Sehnsucht sie zu ihm gerufen, sah er sie plötzlich. Den Blick auf das Meer gerichtet, schlenderte sie gedankenverloren am Strand entlang auf ihn zu. Eine dunkle Gestalt vor dem hellen Sand. Ihr Haar war nachlässig zusammengebunden und zu einem Knoten aufgesteckt. Einige Locken hatten sich gelöst und fielen ihr ins Gesicht. Sie wirkte sehr zerbrechlich. Lea nahm ihn nicht wahr. Als er ihren Namen rief, blickte sie erschrocken auf wie jemand, der aus einem tiefen Traum erwachte.
»Du bist es.« Ein schwaches Lächeln überflog ihr Gesicht. Sie musterte ihn. »Was tust du hier so ganz allein? Wo ist Carlotta?«
Er hätte sich am liebsten in ihre Arme gestürzt, sich von Lea trösten lassen. Doch auf irgendeine Weise stand Carlotta zwischen ihnen. Seit sie die Insel betreten hatte, war ihr Verhältnis ein anderes.
»Carlotta ist fort.«
»Wohin?«
Und dann brach alles aus ihm heraus. »Ich habe an eine gemeinsame Zukunft geglaubt, doch wir konnten nicht zusammenbleiben«, endete er schließlich. »Weißt du, hier auf der Insel hat sich gezeigt, dass wir nicht füreinander geschaffen sind. Carlotta kann sich ein Leben auf Wangerooge nicht vorstellen. Und ich will auf Dauer anderswo nicht sein. So einfach ist das!«
»Aber du liebst sie doch!«
»O ja, ich liebe sie sehr und werde es vielleicht immer tun. Doch mir ist bewusst geworden, dass ich nicht nur meine Zukunft mit Carlotta teilen würde, sondern auch ihre Vorstellungen vom Leben. Wir können hier nicht glücklich sein. Ich habe es vorher nicht geahnt, aber Carlotta würde sich hier auf Wangerooge wie ein Vogel im Käfig fühlen – und sollte ich mit ihr in die Stadt ziehen, dann würde ich irgendwann zerbrechen. Ich weiß es, das kannst du mir glauben. Lange genug war ich fort.« Er breitete die Arme aus. »Als Kind hielt ich all das für selbstverständlich. Später wurde mir bewusst, dass Wangerooge ein Teil von mir ist.«
»Wann hast du herausgefunden, dass die Insel euch trennt?« Sie berührte seinen Arm. Er war dankbar über die Wärme ihrer Hand.
»Schon kurz nach Carlottas Ankunft. Und nicht ich habe es herausgefunden, sondern sie. Ich habe Carlotta mit der Nachricht überraschen wollen, dass wir hier auf Wangerooge leben werden, dass ich sie schon bald heiraten kann. Doch diese Überraschung ist mir nicht gelungen. Weißt du, als ich Carlotta kennenlernte, da war es für mich wie ein Wunder, dass diese Frau mich überhaupt bemerkte. Sie kam aus einer ganz anderen Welt. Es gab zudem so viele elegantere, weltgewandtere Männer. Doch sie nahm mich bei der Hand, und von da an wurden meine Tage heller und schöner. Mir war, als lebte ich in einer bunteren Welt. Und als sie dann von einer gemeinsamen Zukunft sprach, da war ich wunschlos glücklich. Es war leider nur ein kurzer Traum.«
Er blickte zum Wasser. »Die Wahrheit ist, dass Carlotta plötzlich nichts mehr von einem gemeinsamen Leben wissen will. Sie hat gesagt, da sei nicht genug Liebe in ihr, um sich meinetwegen auf diesem öden Eiland einsperren zu lassen.«
»Nein!« Leas Arme umfingen ihn.
»Doch. Sie wollte mich nicht mehr. Carlotta wird bestimmt nicht an gebrochenem Herzen sterben, glaube mir. Das ist ganz und gar nicht ihre Art. Für eine kurze Zeit hat sie mich auf ihre ganz eigene Weise geliebt. Dieser Trost bleibt mir.«
»Immo, es tut mir so leid!«
Es tat gut, Lea sein Herz auszuschütten, ihren Trost, ihr Verständnis zu spüren. Sie liefen Arm in Arm am Meeressaum entlang, scheuchten grell schreiende Austernfischer auf, stiegen über angeschwemmtes morsches Holz und umrundeten Priele, die das Wasser in den Sand gegraben hatte. Sträucher
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