Tochter der Insel - Historischer Roman
läutet. Ich muss wieder unter Deck. Lass dich umarmen von deiner
Rebekka
Lea, eines noch: Ich habe mir deinen Namen ausgeliehen. Nicht einmal Arne weiß, wie ich wirklich heiße. Meinen eigenen Vornamen habe ich in den Papieren unkenntlich gemacht. Großmutter hat es mir mit Rebekka verdorben. Dass sie uns biblische Namen gegeben hat, ist ja schon schlimm genug. Lea – die sich vergeblich Bemühende. Wie interpretierte Großmutter es noch? Dass du dich zeit deines Lebens bemühen müsstest, die Schuld unserer Mutter abzutragen? Aber Rebekka – der Strick – das geht zu weit! Einmal hat sie mich in ihrer Wut sogar ihren Galgenstrick genannt. Ich kann diesen Namen nicht mehr ertragen. Aber an dich denke ich gerne. Wenn mich jemand Lea ruft, fühle ich mich dir nah.
Fast meinte Lea, Rebekkas Stimme zu hören. Ihre Zwillingsschwester gab sich mit ihrem Namen aus! Ein ungutes Gefühl überkam sie.
Während die Nacht hereinbrach, las Lea Bogen um Bogen. Rebekkas nächster Brief berichtete von einem Sturm, bei dem gewaltige Wellen über das Schiff hinwegfegten. Lea wagte kaum zu atmen, doch alles ging gut, und die Columbia gelangte wieder in ruhigeres Fahrwasser. Rebekka berichtete, dass viele Reisende von Seekrankheit geplagt wurden. Auch ihr ging es zeitweilig schlecht. Arne jedoch blieb verschont.
Ihre Schwester hatte dem Brief verschiedene Zeichnungen beigefügt: das Meer bei ruhiger See und bei Sturm, die Matrosen bei der Arbeit und Fische, die aussahen, als flögen sie über dem Wasser.
Der dritte Brief schilderte die Ankunft am 10. September in New Orleans. Mit einem Dampfschiff war der Seglerden Mississippi hinaufgezogen und in den Hafen geschleppt worden. Am Tag nach der Ankunft in New Orleans hatten Rebekka und Arne geheiratet.
Ich bin jetzt Arnes Frau! Mrs Backer! Wenn ich meinen Mann sehe, spüre ich ein warmes Gefühl im Herzen. Wie ich diesen großen, starken Burschen liebe! Ein Richter hat uns getraut. Er war so betrunken, dass er Arne mit meinem Namen und mich mit seinem angesprochen hat.
Ach Lea, wie habe ich mich vor der Hochzeitsnacht gefürchtet, und dann haben wir die halbe Nacht mit Lachen zugebracht. Es war aber auch zu vergnüglich. Da lagen wir, nach den langen Wochen auf See, endlich allein in einem Zimmer, das die Größe einer Pferdebox hatte. Auf dem roh gezimmerten Bett befanden sich nur ein Strohsack und eine von Mäusen angefressene Decke. Aus der Küche wehte der Geruch von Gebratenem zu uns herüber. Nur dünne Wände teilen die Kammern. Es ist nicht sehr romantisch, wenn dich dein Liebster küsst, während das Ehepaar nebenan streitet, jemand in sein Taschentuch schnäuzt oder du einen anderen Nachbarn auf dem Nachttopf sein Geschäft verrichten hörst. Und trotzdem war es die schönste Nacht meines Lebens.
Der Tag nach unserer Hochzeit war ein Sonntag, und wir haben ihn genutzt, um New Orleans zu erkunden. Es ist eine große Stadt, Lea, obwohl sich vieles noch im Aufbau befindet. Man sieht Haus um Haus in die Höhe schießen. Ich habe niemals zuvor so viele verschiedene Sprachen um mich herum gehört und den Gegensatz zwischen Arm und Reich so stark wahrgenommen. Auf der einen Straßenseite flanieren Damen in Abendkleidern aus heller Atlasseide, mit weißen Handschuhen und kostbaren Halsbändern, während auf der anderen Bettlerinnen in Lumpen um Brot für ihre Kinder bitten.
Liebes, ich muss jetzt aufhören. Arne kommt die Treppe herauf. Ich schreibe dir, sobald ich wieder Gelegenheit dazu finde.
Deine Rebekka
Lea betrachtete die beigefügten Zeichnungen. Der Gasthof, in dem Rebekka und Arne übernachtet hatten, wirkte wie ein großer Bretterhaufen, der lieblos zusammengezimmert war. Kutschen standen vor dem Eingang, auf der Straße konnte sie Kopfsteinpflaster ausmachen.
Der folgende Brief schilderte die weitere, neun Tage dauernde Reise mit dem Dampfer nach St. Louis. Rebekka hatte die überfüllten Straßen gezeichnet und den Hafen. Hier bestimmten Fuhrwerke, die mit Maultieren und Ochsen bespannt waren, das Bild.
Sie legte die Skizzen zur Seite und wandte sich dem nächsten Brief zu. Bislang hatte Rebekka einen leichten, fast überschwänglichen, Ton angeschlagen, doch bei dem folgenden Bogen war die Tinte an mehreren Stellen verwischt. Lea runzelte die Stirn.
Meine liebe Lea,
endlich bin ich am Ziel! Wir haben die letzten Meilen mit Hilfe eines Planwagens hinter uns gebracht. Die Landschaft, durch die wir gefahren sind, ist einfach wunderschön. Ich wusste
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